Die Stimmen des Flusses
ich habe immer gedacht, ich hätte dich zur Welt gebracht und nicht Senyora Pilar.
»Oh, mein Gott, Bibiana. Hörst du mich? Kannst du mich erkennen? Sag doch was! Du kannst mich nicht alleine lassen, hörst du mich?«
Natürlich höre ich dich, mein Kind. Du warst meine Tochter, und ich habe um dich gelitten wie eine Mutter. Jetzt, da ich gehe, möchte ich dir sagen, daß du aufpassen mußt, daß du einen gefährlichen Lebensweg eingeschlagen hast, voller mächtiger Feinde, ich weiß das, ich bin ja nicht dumm. Wie ich dich liebe, meine Tochter. Schon höre ich das Wasser des Pamano rauschen. Es ist wie ein Wunder.
»Ich bringe dich ins Bett. Mach dir keine Sorgen, Bibiana, ich kümmere mich um dich.«
Du kannst mich ja nicht mal vom Boden aufheben. Ich freue mich, daß du dir Sorgen um mich machst. Zweiundvierzig Jahre meines Lebens habe ich mir Sorgen um dich gemacht, seit damals, als Conxita von den Trillas dich auf den Po gehauen hat und du zwei endlose Minuten gebraucht hast, bis du anfingst zu schreien. Und daß du nun, in meinen letzten zwei Minuten, zum ersten Mal meinetwegen aus der Fassung gerätst, das macht mich so glücklich, daß ich weinen könnte.
»Wein nicht, Bibiana, ich werde für dich sorgen. Jemand soll den Arzt rufen! Caterina!«
Ich würde ja bleiben, und sei es nur, um auf dich aufzupassen, denn ich glaube, nur ich allein weiß, daß das Unglück nie ein Ende haben wird: Immer wird es einen Knochen finden, an dem es nagen kann. Mein Kind, meine Tochter, ich will, daß du immer auf der Hut bist, daß du immer daran denkst, daß man nie weiß, wo das Unglück endet.
48
Um jedes Risiko zu vermeiden, trafen sie sich an einem anderen Ort: in einer schäbigen Pension in La Pobla, wo niemand sie kannte. Elisenda legte ihren Mantel auf einen Stuhl, sah aus dem Fenster und sagte, ohne sich umzudrehen: »Ich liebe dich so sehr, ich würde gerne mit dir zusammenleben wie … nun ja, wie Mann und Frau. Ohne diese Heimlichtuerei.«
»Du weißt doch, daß das nicht geht«, erwiderte er kurz.
»Wenn wir uns nur scheiden lassen könnten.«
»Zu Zeiten der Republik konnten wir das. Deine Leute haben es verboten.«
»Meine Leute?«
Jetzt sah sie ihn an. Sie trat auf ihn zu und versuchte seinen Blick zu ergründen, der so ganz anders war als der des Malers, unter dem sie sich nackt und zugleich geborgen gefühlt hatte. Aber sie fand nur Kälte. Sie ging zum Schrank.
»Sind es nicht auch deine Leute?«
Oriol antwortete nicht, hielt aber ihrem Blick stand.
»Ich wünschte, wir wären verheiratet«, wiederholte sie.
»Ich nicht.«
Stille. Sie stand reglos vor dem angelaufenen Schrankspiegel, zwei Elisendas, die ihn entsetzt anstarrten. Oriol setzte sich aufs Bett.
Saludo a Franco, Arriba España. Torena de Pallars, den 26 . 10 . 1944 . Fortsetzung. Unsere Truppen haben in der Gegend von Toulouse die halb vermoderte, nein, verweste Leiche des vermißten José Pardines gefunden (vgl. voriger Bericht). Der Gerichtsmediziner, Hauptmann Aurelio Cordón, fand eine Kugel, die in die vordere Hirnhälfte eingedrungen war. Daraus ist zu schließen, daß besagter Pardines von den Banditen, unter die wir ihn eingeschleusthatten, enttarnt wurde. Es ist ihm nicht gelungen, uns irgend etwas mitzuteilen, nein, Informationen jedweder Art zukommen zu lassen.
»Was ist los mit dir?« fragte sie verwirrt.
»Wenn du ein Stück Land willst, zeigst du seinen Besitzer an.«
»Ich verstehe dich nicht.«
Aber als er ihr erklärte, was ihm Targa gezeigt hatte, verstand sie sehr wohl. Sie überlegte einen Augenblick, dann entgegnete sie: »Das sind Ländereien, die die Anarchisten von meinem Vater konfisziert haben.«
Oriol schwieg ratlos.
Außerdem habe ich erfahren, nein: Unbestätigten Gerüchten zufolge unterhält Eliot möglicherweise Verbindung zu einem Mann namens Ossian – schreibt sich genau so. Ich denke, es wäre gut, es wäre richtig, ich halte es für ratsam – das ist es –, das Vorleben dieses besagten Ossian näher zu untersuchen und herauszufinden, ob er aus dieser Gegend stammt, ob er hier heimlich unter falschem Namen agiert oder ob es sich eventuell um einen Guerrillero oder einen flüchtigen Republikaner handelt.
»Ich liebe dich und will dich um nichts in der Welt verlieren.«
»Du bist mit dem Bürgermeister befreundet, nicht wahr?«
»Nein. Wenn jemand mit dem Bürgermeister befreundet ist, dann du. Ihr beide seid doch ein Herz und eine Seele.«
»Targa vertraut mir nicht, weil ich die
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