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Die Stimmen des Flusses

Die Stimmen des Flusses

Titel: Die Stimmen des Flusses Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jaume Cabré
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hatte, bevor sie ihn zu sich einlud. »Natürlich«, sagte sie. »Und wie es aussieht, wirst du die Wahlen gewinnen.«
    »Ich hoffe es.«
    »Die andere Liste taugt nichts.«
    »Die andere Liste«, Bringué vergaß, daß er hier nicht in einem Meeting sprach, »versammelt die alten Franquisten, die sich die Macht nicht entreißen lassen wollen.«
    »Ich bin sicher, sie sind unfähig.«
    Er sah sie an. Erst jetzt schien ihm bewußt zu werden, daßer in Casa Gravat war, weil sie ihn zu einem kleinen Meinungsaustausch hergebeten hatte.
    »Was wollen Sie von mir?« fragte er schließlich.
    »Du bist noch sehr jung, und es gibt Dinge, die …« Sie schenkte dem zukünftigen Bürgermeister Tee ein, doch anstatt zu trinken, sah dieser auf die Uhr.
    »Ganz besonders freue ich mich darüber«, sagte er, »daß ich der erste demokratisch gewählte Bürgermeister sein werde.« Wieder sah er sie an: »Ich trete in die Fußstapfen meines Vaters.«
    Was mache ich?Verschiebe ich das Gespräch auf ein anderes Mal? Werfe ich ihm die Teekanne ins Gesicht?
    »Ich weiß, wie die Dinge funktionieren, in Torena und im Tal. Im ganzen Land. Du verstehst schon.«
    »Und?«
    »Du würdest gut daran tun, mich immer um Rat zu fragen.«
    »Entschuldigen Sie, aber …«
    »Dieses Tal hat seinen Wohlstand nicht den Kühen zu verdanken, sondern dem Schnee. Ich bringe den Wohlstand hierher. Zucker oder Honig?«
    »Senyora, ich … Und wenn es nur aus Selbstachtung ist, kann ich nicht …«
    »Ich verstehe dich vollkommen«, unterbrach sie ihn sanft, »aber besprich alles mit mir.Wir alle werden davon profitieren.«
    »Vielleicht sollte ich Sie daran erinnern«, sagte er gekränkt, »daß nicht das ganze Jahr über Schnee liegt.«
    »Genau bei diesen Worten Bringués ging mir ein Licht auf, Marcel, denk mal darüber nach, aber wir könnten es schaffen, daß das ganze Jahr über Hochsaison ist. Fahr nach Colorado oder irgendwohin, wo es Wildwasserflüsse gibt, sieh es dir genau an, mach dir Notizen, und dann sprechen wir darüber.«
    »Adidas ist an den Turnschuhen interessiert.«
    »Gut. Laß dir das nicht entgehen. Und wenn es nur dieSohlen sind. Wirst du über das nachdenken, was ich dir gesagt habe?«
    Sie wußte sehr wohl, daß es anfangs schwierig sein würde. Bringué von den Feliçós, der Sohn des verhaßten Bringué, wurde zum ersten demokratisch gewählten Bürgermeister von Torena nach der Diktatur, die Leute feierten auf den Straßen, und einige blickten verstohlen zu Casa Gravat hinüber, wo man die Kröte schluckte und so tat, als wäre nichts geschehen. Am Tag nach den Wahlen betrat Feliu Bringué das Rathaus, ließ die Fenster öffnen und nahm unter dem Applaus der Gemeinderatsmitglieder seiner Liste höchstpersönlich die Bilder von Franco und José Antonio von der Wand sowie – möge Gott ihm verzeihen – das Kruzifix, das seit undenklichen Zeiten bis zu diesem Tag das Büro des Bürgermeisters geschmückt hatte. Er entfernte auch das Ölbild, das an Valentí Targa erinnerte, den Henker von Torena, das unverständlicherweise immer noch an der Wand des Sitzungssaals hing. Ein gutes Bild.Was für Augen.Wer das wohl gemalt hatte? Dann lud er die Mitglieder des Gemeinderats und das einzige Mitglied der Opposition, Xavi Burés von den Savinas, ein, rund um den Sitzungstisch Platz zu nehmen und über die Zukunft von Torena nachzudenken.
    Jetzt heißt es wohl, sich in Geduld zu üben, dachte Senyora Elisenda. Aber sie mußte noch eine weitere Kröte schlucken, als der Gemeinderat sich weigerte, trotz ihrer vernünftigen Einwände seinen Entschluß rückgängig zu machen, und an einem Regentag, als die Straßen leer waren, obwohl der Festakt wiederholt angekündigt worden war, Feliu Bringué sein Wahlversprechen erfüllte, die alten Namen wieder einzuführen. Er lud ganz Torena zur Umbenennung der Straßen ein.Vom überdachten Balkon im ersten Stock von Casa Gravat aus sah sie, vor dem Regen geschützt und in ein Tuch gehüllt, zur Plaça Major hinüber, die noch Plaza de España hieß. Ein paar wenige Leute waren gekommen – und Cecilia Báscones, das Weibsbild, das überall dabeisein mußte und aufeinmal schon immer für die Demokratie gewesen war und nun dem jungen Mann, der im Gemeinderat für die Stadtplanung zuständig war, erklärte, daß die Mikrodrepanozytose eine Art chronischer Anämie war, bei der das Hämoglobin zerstört wurde.
    »Mamà, komm rein, du wirst dich noch erkälten.«
    Elisenda sah zu Mertxe herüber, würdigte

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