Die Stimmen des Flusses
sie aber keiner Antwort und blickte dann wieder auf den Platz hinaus. Leicht verärgert schloß Mertxe die Tür.
Sollen sie ändern, was sie wollen, die Straßen, die nach Franco und nach José Antonio benannt sind, aber rührt mir um Himmels willen Oriols Straße nicht an.
Auf dem Platz hatte Jaume Serrallac, der Sohn des Steinmetzen, bereits die alte Tafel abgehängt und hielt die neue parat, die ebenfalls aus Marmor war. Kurz darauf hing sie. Die wenigen Anwesenden applaudierten, Bringué, der Schuft, sprach ein paar Worte, die sie nicht verstand, und sie wünschte ihm den Tod an den Hals.
Traurig sah sie zu, wie Serrallac die alte Tafel zerschlug und die Stücke in seinen Korb legte. Ihr Blick verschleierte sich, wie immer, wenn sie Kummer hatte. Sie nahm die Brille ab und strich sich sacht mit den Fingerspitzen über die Augen. Nein, sie weinte nicht. Eher würde sie für immer nach Barcelona ziehen, als zuzulassen, daß dieses Gesindel sie weinen sah.
»Deine Mutter will nicht auf mich hören.«
»Was ist schon dabei, wenn sie dort steht und zusieht?«
»Sie steht schon seit drei Stunden da. Ohne sich hinzusetzen. Seit heute morgen um acht ist sie auf dem Posten. Und sie will nichts Warmes trinken. Nichts Warmes und nichts Kaltes. Und wenn ich ihr sage, daß sie sich schonen muß, wird sie wütend.«
»Mist. Sicher flennt sie, weil der Name von diesem verdammten Fontelles entfernt wird.«
»Wahrscheinlich. Manchmal denke ich, sie ist ein bißchen …«
»Sag ihr, sie soll ans Telefon kommen.«
»Sie will mit niemandem reden.«
»Sag’s ihr einfach, verdammt noch mal!«
»Sie wird nicht reinkommen, das sag ich dir.«
»Sieh mal zu, ob du das Telefon mit raus auf die Terrasse nehmen kannst. So weit das Kabel reicht. Was macht der Junge?«
»Es geht ihm gut. Du wirst sehen, sie will nicht, daß …«
»Na los, sie soll schon drangehen. Das hat mir heute gerade noch gefehlt.«
Das Entscheidende war das Abnehmen und Austauschen der Tafeln. Es wäre nicht das gleiche gewesen, wenn am Tag zuvor eine Brigade des Gemeinderats (soll heißen, Jaume Serrallac) die Tafeln in aller Stille ausgetauscht hätte und dieser Akt am folgenden Tag mit einer Rede und so weiter allgemein gewürdigt worden wäre. Nein. Feliu Bringué bestand geradezu zwanghaft darauf, mit dem Festakt die Geschichte des Landes zu ziehen wie einen faulen Zahn, Rache zu üben, die Namen von Franco, José Antonio und Oriol von den Wänden zu reißen und sie durch andere Namen zu ersetzen, die Namen von Bastarden. Sie nannten das einen staatsbürgerlichen Akt, aber in Wirklichkeit handelte es sich um einen Racheakt. Und Cecilia Báscones stand in der ersten Reihe und hatte ihr Mäntelchen nach dem Wind gehängt. In ihrem Alter hätte sie etwas mehr Würde beweisen können, denn Tabak und Knöpfe verkaufte sie an die einen wie die anderen. Elisenda trat auf dem Balkon ein paar Schritte vor, um zuzusehen, wie die Gruppe unter der Tafel der Calle José Antonio hielt. Es regnete noch immer, und die Regenschirme der Honoratioren und der wenigen Zuschauer sahen aus wie schwarze Pilze. Zwei Fremde sorgten mit ihren leuchtenden Regenmänteln für einen Farbtupfer. Sie fotografierten, vielleicht waren es Journalisten.
»Mamà, Marcel ist dran.«
»Nein. Später.«
»Mamà, er hat nicht viel Zeit. Komm bitte her, das Kabel reicht nicht weiter.«
»Gib her. Hallo.«
»Mamà, was ist los?«
»Nichts.Wo bist du?«
»In Paris. Ich schließe gerade das Geschäft mit Adidas ab.«
»Wofür?«
»Schnürsenkel für die Turnschuhe.«
»Besser als nichts.«
»Wie …. Das ist phantastisch!«
»Du hättest den ganzen Schuh verkaufen können.«
»Ja. Und die Socken, wenn’s recht ist.Was ist denn das für eine Geschichte mit den Straßenschildern?«
»Nichts, was dich betrifft.«
»Warum gehst du nicht rein? Mertxe sagt …«
»Mertxe soll den Mund halten.Auf Wiedersehen, ich habe zu tun.«
»Aber Mamà!Verdammt noch mal, du hast Zucker! Denke dran, daß die …«
Elisenda hatte ihrer Schwiegertochter das Telefon zurückgegeben, denn jetzt waren die schwarzen Pilze am oberen Ende der Calle Falangista Fontelles (1915-1944) angelangt und hielten unter der Tafel an, die vom Balkon aus zu sehen war. Es war die einzige, die Serrallac – Gott verfluche seine Seele – direkt an der Wand in Stücke schlug. Dann hebelte er mit dem Meißel alles ab, daß es zu Boden fiel. Und nun, vermutete sie, würden sie die Tafel mit Carrer del Mig
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