Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Stimmen des Flusses

Die Stimmen des Flusses

Titel: Die Stimmen des Flusses Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jaume Cabré
Vom Netzwerk:
beobachten.
    General Antonio Sagardía Ramos höchstpersönlich, der ehemalige Kommandeur der zweiundsechzigsten Division des Navarra-Korps, der sich seinen Ruf als Schlächter des Pallars mühsam erarbeitet hatte und sich auf einem inoffiziellen Besuch in dem Gebiet befand, dem er seinen Ruhm verdankte, schnalzte mißbilligend, als er die verstümmelten Leichen entdeckte, und sagte zu dem Leutnant, der ihn begleitete, an diesem Schlamassel sei allein der inkompetente Kommandant schuld, der vor ihm lag, ohne Auge und ohne Leben, aber mit seinem Stern an der Mütze. Er hat sich in den simpelsten Guerrillahinterhalt locken lassen. Und mich steckt man in die Reserve.
    Es geschah genau so, wie der Maquis vorhergesehen hatte: Die Kräfte in diesem Tal wurden verdoppelt und dadurch aus anderen Tälern abgezogen. Als der Lastwagen mit einem Großteil der Inspektionstruppen, mit den Toten und einigen der Soldaten, die in ihrer Angst auseinandergelaufen waren, auf dem Rückweg die Brücke von Àrreu passierte, sagte der Leutnant mit den kohlschwarzen Augen »jetzt«. Einer seiner Männer feuerte eine Signalrakete ab,und zwanzig Sekunden später flog die Brücke mit zwei Jeeps und einem Lastwagen in die Luft. Leutnant Marcó wußte, daß von nun an die Maquisards, die zwischen Isil und Collegats agierten, ein hartes Leben haben würden, zumal ihnen der Rückzugsweg über den Paß von Salau zufror und sie lange, aber sichere Umwege über Espot, Estanyets und Montsent machen mußten.
    »Bilder sind Weiberkram!«
    »Die Malerei macht mir Spaß. Die Arbeit in der Schule ist Routine.«
    »Und? Hat sie versucht, dich einzuwickeln?«
    »Wie bitte?«
    »Ob Senyora Elisenda versucht hat, dich ins Bett zu zerren.«
    Ob Senyora Elisenda versucht hatte, ihn ins Bett zu zerren … Die letzte Sitzung war gekommen, so wie alles, was schmerzt, einmal kommt, und nachdem Oriol die Nuancen an den Kleiderfalten noch einmal überarbeitet hatte, betrachtete er die lebendigen Augen, die er auf die Leinwand gebracht hatte und die Feuer zu sprühen schienen, und seufzte. Er wischte den Pinsel mit einem Tuch ab, sah noch einmal die Augen auf der Leinwand an und sagte: »Ich glaube, mehr kann ich nicht tun. Ich bin fertig, Elisenda.« Elisenda stand rasch auf, trat auf die Leinwand zu und betrachtete sie eine Minute lang schweigend, so daß Oriol vor sich die Augen hatte, die er so gemalt hatte, daß sie einem bis in die Seele drangen, und hinter sich das Parfüm, das ihn verwirrte. Mit ihren schmalen, nach Narde duftenden Händen applaudierte Elisenda dem Bild.
    »Es ist ein Kunstwerk«, sagte sie.
    »Das weiß ich nicht«, entgegnete Oriol zurückhaltend. »Aber es kam aus meinem Inneren.«
    Ein heftiger Stromschlag riß ihn aus seiner Betäubung, denn sie hatte ihm die Hand auf die Schulter gelegt und ließ sie dort liegen. Er wandte sich um. Ohne Vorwarnung beugtesie sich vor, so daß er ihren Brustansatz sehen konnte, und küßte ihn still auf die Stirn.
    »Ich bin dir sehr dankbar«, sagte sie. »Es ist ein außergewöhnliches Bild, du solltest dich ganz der Malerei widmen.«
    Ob Senyora Elisenda versucht hatte, ihn ins Bett zu zerren. Mein Gott. Senyora Elisenda hat nicht versucht, mich ins Bett zu zerren, ich denke ständig an ihre Augen, und Rosa wird von Tag zu Tag mürrischer, weil sie etwas ahnt, Frauen haben für so was ein Gespür. Vielleicht hätte ich diesen Auftrag nicht annehmen sollen, vielleicht hätte ich mich auf meine Arbeit beschränken sollen, darauf, Elvira Lluís, Cèlia Ventureta und Jaume Serrallac zu sagen, den Großen in der Klasse, die die Eltern noch nicht herausgenommen haben, um Heu zu machen, daß das Subjekt Spanien ist. »Und ein Subjekt ist nie von einer Präposition begleitet, verstehst du, Jaume, versteht ihr das? Wenn wir sagen ›Spanien gedeiht durch die Liebe zum Caudillo‹, dann ist ›Liebe‹ nicht das Subjekt.«
    »Aber es ist das wichtigste Wort«, wandte Elvira Lluís hustend ein.
    »Was soll das heißen: Spanien gedeiht durch die Liebe zum Caudillo, Herr Lehrer?«
    »Nun ja, das ist das Beispiel aus dem Buch. Nehmen wir ein anderes: Die Feldfrucht gedeiht durch das Wasser.«
    »Was ist die Feldfrucht?«
    »Getreide. Weizen.«
    »Ja, das versteht man besser. Und das Subjekt ist dann die Feldfrucht, oder?«
    »Senyora Elisenda hat nicht versucht, mich ins Bett zu zerren. Sie ist eine Dame.«
    »Du wirst sie schon noch kennenlernen. Hat sie dich bezahlt?«
    »Auf Heller und Pfennig. Was soll das heißen,

Weitere Kostenlose Bücher