Die Stimmen des Flusses
wollte sich auf die Arbeit konzentrieren, denn sonst würden sie niemals fertig werden, und sagte: »Ich glaube, wir sollten einen Abschnitt über den Bürgerkrieg machen.« Maite sah sie vom Stuhl herab an. Auch Ricard Termes und Joana, die mit Ausschneiden beschäftigt waren, ließen die Arbeit sinken und sahen sie an. Sie merkte plötzlich, daß sie im Mittelpunkt der allgemeinen Aufmerksamkeit stand, was ihr immer unangenehm war.
»Wir haben keine Ahnung vom Bürgerkrieg«, wandte Ricard Termes ein.
»Weißt du, wieviel Arbeit das ist?« Auch Maite wirkte nicht begeistert.
»Also, ich bin zu faul dazu«, bestärkte sie Ricard.
»Ich werde mich schon darum kümmern. Anscheinend war hier im Krieg und später mit dem Maquis einiges los.«
»Wenn du dich dazu bereit erklärst … Meine Frau wirdsich von mir scheiden lassen, wenn das hier noch lange dauert.«
Joana schwieg. Sie ging hinüber ins Sekretariat, während die anderen noch überlegten, ob es sich lohne, einen neuen Abschnitt über die Schulen im Bürgerkrieg anzufangen. Ricard sagte: »Soweit ich weiß, haben die Schulen während des Kriegs hier alle funktioniert, in dieser Gegend ist ja nicht viel passiert«, und Maite stimmte ihm zu. Da kam Joana mit einer übervollen Mappe zurück. Sie öffnete sie, nahm eines der Kirchenblättchen heraus, die darin lagen, und gab es Tina.
»Das hat etwas damit zu tun«, sagte sie und zeigte ihr einen Artikel mit der Überschrift »Ein weiterer Märtyrer für Gott und Vaterland« und einem unscharfen Foto, auf dem zwei kleine Gestalten in Falangeuniform zu erkennen waren, die in die Kamera sahen. Einer der beiden hatte dem anderen den Arm um die Schulter gelegt, und das Leben lächelte ihnen zu. Tina konnte nicht erkennen, ob einer von ihnen Oriol Fontelles war, weil die Gesichtszüge zu undeutlich waren und sie den Lehrer nur von dem Selbstporträt kannte, das er auf der Schultoilette vor dem Spiegel angefertigt hatte.
Während sie den Artikel las, hörte Tina mit halbem Ohr, wie Maite fragte, was das sei, und Joana antwortete, es gehe um einen Lehrer aus Torena. Und Ricard sagte: »Ach der, den die Maquisards umgebracht haben, von dem habe ich schon gehört.« Und Joana sagte zu Maite: »Es heißt, er sei einer der größten Faschisten hier in der Gegend gewesen, und so was war Schullehrer.« Ricard rümpfte die Nase: »Wir machen uns nur das Leben schwer, wenn wir jetzt noch damit anfangen, werden wir bis zu Ausstellungseröffnung nie fertig«, und Maite sagte: »Wir können ja bei Gelegenheit noch mal drüber reden, mach dich jetzt nicht verrückt.« Währenddessen las Tina den in gewundenem Spanisch abgefaßten Artikel: »Vor einer Woche, am 18. Oktober 1944, dem Tag des Evangelisten Lukas, überfiel ein großer Trupp Maquisards drei Dörfer der Gemeinde (Torena, Sorre und Altron) im Wissen, daß sie an diesem Feiertag den größtmöglichenSchaden anrichten konnten. Ihr Ziel war es, sich zu den Herren dieser Region aufzuschwingen, von hier aus ungehindert vorzustoßen und mit schwerer Artillerie das Nogueratal und die Bezirkshauptstadt zu bombardieren, um die nationalen Kräfte abzulenken«,und so weiter und so fort. Sie überflog die nächsten Zeilen. Da stand es: »… durch den heldenhaften Einsatz des Dorfschullehrers von Torena, Oriol Fontelles Grau, der sich ganz allein und nur mit einer Kleinkaliberpistole bewaffnet dem roten Gesindel entgegenstellte, das die Kirche entweihen wollte. Oriol Fontelles, der neue Märtyrer, leistete aus der Kirche heraus Widerstand und hielt sie in Schach, bis ihm nach zwei Stunden die Munition ausging. Soweit wir wissen, sagte er noch im Tode seinem Freund, dem Bürgermeister von Torena, Kamerad Valentín Targa, der ihn in den Armen hielt, damit er in Frieden sterben konnte, daß er Widerstand geleistet habe, um den Ordnungskräften Zeit zu verschaffen, nach Torena zu gelangen, ohne daß es den Roten gelänge, ihre Stellung auszubauen. Er wisse, sagte er, daß er sein Leben gebe, um andere zu retten, und er tue dies gern. Und der heilige Krieger, der fleißige Lehrer, legte in der Blüte seiner Jugend seine Seele in die Hände des Herrn der Himmlischen und Irdischen Heerscharen. Er ruhe in Frieden, der Held und Märtyrer, der Falangist Oriol Fontelles Grau (1915-1944).« Meine Güte.
»Kann ich das behalten?« fragte Tina Joana und deutete auf die Mappe mit den Gemeindeblättchen.
»Meinetwegen …« Joana sah zu Maite hinüber, aber auch die hatte nichts
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