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Die Stimmen des Flusses

Die Stimmen des Flusses

Titel: Die Stimmen des Flusses Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jaume Cabré
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ich werde sie schon noch kennenlernen?«
    Er rührte in der leeren Kaffeetasse und legte dann denLöffel auf den Unterteller. Er hatte Lust, nach Hause zu gehen, und fürchtete sich zugleich davor, fürchtete Rosas stumme, vorwurfsvolle Blicke. Sie hatte nicht einmal gelächelt, als er ihr das Geld für das Bild brachte.
    »Ich möchte Sie daran erinnern, daß Senyora Elisenda eine verheiratete Frau ist.«
    »Verheiratet mit einem Taugenichts, der den ganzen Tag … Ach, was soll’s.«
    Oriol stand auf, und Senyor Valentí war überrascht, daß der andere die Initiative ergriff. Das machte ihn wütend. Mit einer knappen Handbewegung bedeutete er ihm, sich wieder zu setzen. Er lehnte sich über das Tischchen, bis sein Gesicht direkt vor Oriols Gesicht war, so daß dieser seinen säuerlichen Atem riechen konnte, und sagte: »Ich habe Senyora Elisenda schon flachgelegt, und ich versichere dir, sie ist nichts Besonderes.«
    Oriol wollte gerade auffahren – »Was erlauben Sie sich!« –, als einer von Valentí Targas Männern, der Lockenkopf, das Café betrat. Er ging schnurstracks auf den Bürgermeister zu und flüsterte ihm aufgeregt etwas ins Ohr, was Oriol nicht verstand. Valentí Targa sprang auf und bedeutete ihm ebenso knapp wie zuvor, ihm zu folgen. Oriol protestierte: »Ich muß nach Hause, Rosa …«
    »Vergiß Rosa und komm mit. Und zieh dich warm an.«
    Der mit den buschigen Augenbrauen hielt den Wagen neben dem Friedhof von Sort, vor einem Schuppen, in dem etwa zwanzig Särge aufgereiht waren. Sie stiegen aus: drei uniformierte Falangisten und Oriol, der unwillkürlich das Gebaren der anderen imitierte. Die Wachsoldaten grüßten sie und ließen sie eintreten. In einer Ecke lag ein Toter, in etwas Ähnliches wie eine Uniform gekleidet. Ein Auge stand offen, die andere Gesichtshälfte war eine blutige Masse. Mit der Fußspitze drehte Valentí die Leiche auf den Rücken. Oriol an seiner Seite zitterte und versuchte, sich das Gesicht des Toten nicht allzu genau anzusehen, dann hielt er es nicht mehr ausund ging in eine Ecke, um sich zu übergeben. Valentí beobachtete ihn einen Augenblick lang, sagte aber nichts und kniete neben der Leiche des Maquisards nieder.
    »Seht mal«, sagte er, ohne sich umzuwenden.
    Oriol wankte näher, bleich, ein Taschentuch vor den Mund gepreßt. Die anderen umringten sie. Valentí zog am Jackenaufschlag des Toten. Im Knopfloch schimmerte ein metallenes Abzeichen. Er nahm es ab und legte es auf seine Handfläche. Es war eine rote Glocke. Oriol betrachtete sie schweigend; er wußte nicht, was das zu bedeuten hatte.
    »Dieser Maquisard gehörte zum Trupp von Leutnant Marcó«, erklärte Valentí. »Sie tragen eine Glocke, um sich über uns lustig zu machen. Sie werden von Eliot geführt.«
    »Wer ist Eliot?« fragte der mit dem schmalen Schnurrbart.
    »Ein Engländer, der jeden Stein hier in der Gegend kennt und der anscheinend gern mit uns spielt. Mit der Armee. Er ist sehr gut.« Das klang fast neidvoll.
    Oriol betrachtete bedrückt die Reihe toter Soldaten. Valentí Targa fuhr großspurig fort: »Dieser Eliot und dieser Marcó sind schlau, aber ich kenne ihre Züge. Wenn die Armee auf mich hören würde …«
    Er steckte das Glockenabzeichen in die Tasche, zeigte auf die toten Soldaten und sagte: »Die werden ihr blaues Wunder erleben. Bis jetzt war alles nur ein Spiel.«
    Die anderen sahen einander fragend an. Oriol dachte, wenn es nur ein Spiel war, daß der Bürgermeister und seine Männer zwei Dorfbewohner umgebracht haben, weil sie angeblich an der Ermordung der Vilabrús beteiligt waren, und ein paar weitere, weil sie Anarchisten und Republikaner waren – wie würden dann die Greuel aussehen, die jetzt noch folgten?

13
    Mit einem zerstreuten Lächeln bedankte sich Tina für den Kaffee, den Joana ihr brachte. Sie sah aus dem Fenster. Draußen begann es schon zu dunkeln, obwohl die Schule gerade erst aus war.
    Maite stand auf einem Stuhl und heftete mit Reißzwecken Zettel an die riesige Korkwand, die sie im Vorraum aufgestellt hatten und die ihnen als Werbung und Zeittafel für die Ausstellung diente. Tina blies in ihren Kaffee, während sie Maite zusah. Natürlich konnte sie es sein, ja … Aber was fand Jordi an ihr? Warum hatten die beiden …? Maite war klüger und gebildeter. Sie ist gebildeter als ich, ist es das, was ihn anzieht? Und sie wird nicht so dick wie ich.
    »Gib mir mal das Blatt. Das mit dem Foto, ja.«
    Tina reichte ihr das Blatt mit dem Foto. Sie

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