Die Stimmen des Flusses
einzuwenden.
»Es ist für das Buch … Ich weiß nicht … Das Thema interessiert mich nun mal. Auch wenn hinterher nichts dabei herauskommt.«
»Aber bei der Ausstellung lassen wir den Krieg lieber raus«, schaltete Ricard sich wieder ein, »das wird sonst zu kompliziert, oder?«
Sie beschlossen, auf den Krieg zu verzichten.
Tina klappte die Mappe zu, ließ die Gummis schnalzen,dann ging sie zu Joana hinüber und sagte, »Danke, das ist mir sehr nützlich«, und Joana sah ihr in die Augen und fragte: »Warum bist du so traurig,Tina?«
Tina war so überrascht, daß sie ein paar Sekunden brauchte, um zu reagieren. Dann schluckte sie und sagte: »Es ist, weil Arnau beschlossen hat, Mönch zu werden.«
14
Rosa setzte gerade das Gemüse auf, als sie durch das winzige Fenster, das inzwischen mit neuen, grünweiß gewürfelten Vorhängen geschmückt war, drei oder vier dunkle Männer vorübergehen sah, die man auf dem dämmerigen Platz kaum erkennen konnte, gefolgt von einem zögerlichen Oriol. Ihr war, als blicke er flüchtig zu dem Fenster hinüber und als folge er ein wenig widerwillig den Falangisten, die die Hauptstraße hinaufgingen und sicherlich nichts Gutes im Schilde führten. Rosa seufzte und setzte sich auf einen Stuhl, vor sich die Schüssel mit den Kartoffelschalen. Sie spürte den Fußtritt ihres Kindes und wünschte sich von ganzem Herzen, es möge ein Mädchen werden.
Oriol hatte sich von den drei Uniformierten überholen lassen, die nun zu ihrem Chef aufschlossen. Sie gingen die enge Straße hinauf, und trotz der Kälte stand Quim von den Narcís in der Tür, beobachtete den Trupp mit freudestrahlenden Augen und wäre am liebsten zu den Birulés gelaufen, um zu sagen, endlich wird hier mal aufgeräumt, Feliu. Er beschränkte sich darauf, den neuen Lehrer höflich zu grüßen, doch dieser war zu bedrückt, um zurückzugrüßen. Valentí war schon bei den Venturas angekommen und klopfte ungeduldig ans Fensterglas. Und dann geschah, was geschah, und Oriol sah von der Schwelle der Eingangstür zu: Wo ist dein Vater, der Mistkerl, laßt ihn in Ruhe, er weiß nichts, und vor allem der harte Blick der Ventura, die ihm in die Augen sah und fragte, wißt ihr, wo Frankreich liegt, der Lehrer soll’s euch erklären, bevor sie, von Valentís Ohrfeige getroffen, durch den Raum flog. Weiter sah er nichts, weil er auf die Straße hinaustrat. Und als er nach Hause zurückkam, bleich und mit Ringen unter den Augen, fragte ihn die hustendeRosa, bleich und mit Ringen unter den Augen, nicht, was geschehen war, und er erzählte nichts, sondern setzte sich hin und starrte ins Leere, und Rosa fühlte sich von ihrem Mann abgestoßen. Sie ging zu Bett, ohne etwas zu essen und ohne ein Wort zu sagen, wie die Familie Ventura, und Oriol mußte das Essen vom Feuer nehmen. Und dann klopfte es an die Tür, und einen Moment lang stellte er sich vor, es sei Elisenda Vilabrú, die ihm mit ihrer samtenen Stimme sagte, es sei alles ein Irrtum. Aber nein. Es war der Falangist mit dem schmalen Schnurrbart.
Ventureta hieß eigentlich Joan Esplandiu Carmaniu, war vierzehn Jahre alt und hatte die Augen vor Angst weit aufgerissen. Sie hatten ihn auf einen Stuhl gesetzt, hatten ihm aber die Handschellen abgenommen, und Valentí bot ihm freundlich lächelnd ein Glas Wasser an, das er gierig austrank, und dann eine selbstgedrehte Zigarette. Der Junge lehnte ab, und Valentí sagte: »Na los, Junge, du rauchst doch bestimmt heimlich«, und Ventureta sagte, »Ja, manchmal, Senyor, aber mir wird ein bißchen übel davon«, und Valentí steckte den Tabakbeutel wieder ein. »Wie du willst. Und jetzt, wo wir Freunde sind, kannst du mir alles sagen, was du über deinen Vater weißt«, und der Junge entgegnete: »Ich weiß gar nichts, meine Mutter hat recht.«
»Nein. Noch mal von vorn: Ist dein Vater in Frankreich?«
»Ich glaube, ja.«
»Und wo?«
»Das weiß ich nicht. Meine Eltern haben sich getrennt, und meine Mutter weiß nichts von ihm und will auch gar nichts wissen.«
»Und warum wurde er dann gesehen, wie er im Morgengrauen in euren Hof gesprungen ist?«
»Aber wir wissen ja noch nicht einmal, ob er noch am Leben ist, Senyor!«
»Ich weiß es aber. Er lebt und ist ein Mörder. Und ich will wissen, wann er heimlich zu euch zu Besuch kommt.«
»Aber wenn ich Ihnen doch sage, daß …« Der Junge wagte nicht, den Bürgermeister anzusehen: »Als meine Eltern sich getrennt haben, ist er mit der republikanischen Armee weggegangen, und
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