Die Stimmen des Flusses
Räucherstäbchen, das auf einem Nachttisch vom Flohmarkt vor sich hin glimmte.
»Du hast die Wahl.«
Ramona sah ihn an. Sie war verwirrt. Als habe er ihre Unentschlossenheit erraten, zog Jacinto einen dicken Umschlag aus der Tasche und legte ihn neben Ramona aufs Bett. Sie griff nicht danach, obwohl sie, wie Jacinto vermutete, nichts lieber getan hätte.
»Das hier und zwei Jahre Miete für die neue Wohnung.«
Jetzt nahm Ramona den Umschlag und öffnete ihn. Jacinto wußte, daß er gewonnen hatte. Das Mädchen strich mit dem Finger über das Geldbündel.
»Es ist alles da«, beruhigte sie Jacinto Mas. »Alles, was ich dir versprochen habe.« Er streckte die Hand aus: »Na los, zähl nach …«
Das Mädchen nahm das Bündel heraus und begann ungeniert zu zählen. Jacinto wartete, bis sie fertig war. Dann streifte er die Asche in die geöffnete Hand, weil er keinen Aschenbecher fand, und sagte, ohne sie anzusehen: »Sollte ich zufällig erfahren, daß du irgend etwas unternommen hast, um Marcel wiederzusehen, an der Universität oder wo auch immer, komme ich zu dir, nehme dir das Geld weg, zeige dich wegen Betrugs an und werfe dich über den Balkon aus der Wohnung. Habe ich mich deutlich ausgedrückt?«
Ramona sah ihn nicht an. Ihr offenes Haar fiel ihr insGesicht, und Jacinto dachte, daß das Mädchen nicht ohne war und daß er es allmählich satt hatte, jeden Schlamassel, in den Marcel geriet, richten zu müssen. Ob dieses Mädchen ihn verstanden hatte?
»Sind Sie Marcels Vater?«
Was gäbe ich drum. Stell dir nur diese Nächte vor, ihre Schreie, es wäre der Himmel auf Erden.
»Ja.«
Sie wurden handelseinig, und Jacinto half ihr eigenhändig beim Kofferpacken und brachte sie in die neue Wohnung, eine Altbauwohnung im Raval, dunkel und muffig, aber groß genug, um alle Räucherstäbchen der Welt unterzubringen. Vielleicht wäre es doch ganz schön gewesen, Millionärin zu sein.
Marcel suchte sie vergeblich in ihrer Studentenbude, und ein paar Monate lang weinte er ihr hinterher und war untröstlich. Sie war nicht mehr im Unterricht, in keiner Versammlung und keiner Bar der Universität, und in seiner Erinnerung verklärte er sie, weil sie ihre Weltanschauung der Versuchung eines angenehmen Lebens vorgezogen hatte. Wenn ihn von dieser Zeit an jemand nach seinen Erlebnissen im Mai 68 fragte, antwortete er düster, es seien tiefgreifende Erfahrungen gewesen, und weigerte sich, ins Detail zu gehen. Er nahm nie wieder den Zug. Und er sah Ramona nie wieder und erfuhr nie, ob sie Schriftstellerin geworden war.
Der ganze Raum war makellos sauber, denn körperliche Reinheit ist Symbol und Vorstufe der geistigen Reinheit. Der Gekreuzigte hing an der Wand, bleich, blutleer und ziemlich weit oben, wo er nicht störte, und übersah alle Verhandlungen, die in diesem stillen Raum geführt wurden. Der Tisch war so oft lackiert worden, daß er spiegelblank war. Sie saß an einer Seite des Tisches, die Unterlagen vor sich, auf denen ihre Unterschrift noch feucht war.
»Sollte das Institut den Prozeß beschleunigen oder wesentlich zu seiner Beschleunigung beitragen«, sie blickte mithochgezogenen Augenbrauen auf den Papierstapel, »wäre meine Dankbarkeit größer, als Eure Hochwürdigste Exzellenz sich vorstellen können.«
Monsignore Josemaría Escrivá de Balaguer y Albás, Doktor der Jurisprudenz, Doktor der Heiligen Theologie, Professor für römisches Recht, Professor für Philosophie und Deontologie, Rektor des königlichen Patronats Sankt Elisabeth, Hausprälat Seiner Heiligkeit Pauls VI., Ehrenmitglied der Päpstlichen Akademie der Theologie, Konsultor der Studienkongregation, Gründer und Generalpräsident des Opus Dei, Mitglied des Colegio de Aragón, Doktor honoris causa der Universität von Saragossa, Großkanzler der Universität von Navarra, der berühmte Sohn der Stadt Barbastro und Ehrenbürger von Barcelona und Pamplona,Träger der Großkreuze Sant Raimond de Penyafort, Afonso X., Isabel La Católica, Carlos III. (mit weißem Ehrenzeichen), Beneficiència und Marquis von Peralta, senkte bescheiden den Kopf und sagte leutselig: »Wer könnte größeres Interesse haben als ich, daß der Prozeß ein zufriedenstellendes Ende nimmt?« Er breitete die Arme aus, wie um den Tisch, Senyora Elisenda, die großzügige Gabe und die unterzeichneten Papiere brüderlich zu umarmen, und verkündete: »Ich werde persönlich Monsignore Álvaro del Portillo damit betrauen.«
»Und was das Schweigen über meine
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