Die Stimmen des Flusses
persönliche Bitte um Aufnahme in das Institut betrifft?«
Monsignore legte die Hände aneinander. Durch die Stille hindurch vernahm sie, fern und gedämpft, das Verkehrschaos von Rom. Sie sah ihr Gegenüber an, mach schon, schließlich habe ich nicht den ganzen Tag Zeit. Escrivá bemerkte ihre Ungeduld und antwortete: »Auch wenn Ihr gesellschaftliches Leben in christlicher Hinsicht vorbildlich ist, so gibt es doch in Ihrem Privatleben einen Aspekt, der einen Skandal verursachen könnte. Und Gnade dem, der einen Skandal hervorruft, denn er wäre besser bestellt …«
»Es wird keinen Skandal geben«, unterbrach sie ihn empört, aber beherrscht, »weil niemand diesen Aspekt meinesPrivatlebens kennen kann. Wie habt Ihr überhaupt davon erfahren, Hochwürdigste Exzellenz?« In ihrer Stimme schwang Verachtung.
Monsignore Josemaría Escrivá de Balaguer y Albás, Doktor der Jurisprudenz, Doktor der Heiligen Theologie, Professor für römisches Recht, Professor für Philosophie und Deontologie, Rektor des königlichen Patronats Sankt Elisabeth, Hausprälat Seiner Heiligkeit Pauls VI., Ehrenmitglied der Päpstlichen Akademie der Theologie, Konsultor der Studienkongregation, Gründer und Generalpräsident des Opus Dei, Mitglied des Colegio de Aragón, Doktor honoris causa der Universität von Saragossa, Großkanzler der Universität von Navarra, der berühmte Sohn der Stadt Barbastro und Ehrenbürger von Barcelona und Pamplona, Träger der Großkreuze Sant Raimond de Penyafort, Afonso X, Isabel La Católica, Carlos III. (mit weißem Ehrenzeichen), Beneficiència und Marquis von Peralta, lächelte und zog es vor, die Gardinen am anderen Ende des Raumes zu betrachten.
16
Bibiana sah ihm in die Augen und erkannte sofort, daß dieser Mann ihrem Mädchen nur Unglück bringen würde. Sie trat einen Schritt zurück, um ihn hereinzulassen, führte ihn in den Salon und ließ ihn allein. Er sah sich um. Über dem Kamin hing das fertige Porträt seiner Elisenda. Das Bild und die Vorhänge rochen noch nach Farbe. Ja, sie war wunderschön.
»Hallo.«
Erschrocken drehte Oriol sich um. Er sah sie an, verglich Original und Porträt. Sie war noch eleganter gekleidet als auf dem Bild. Die beiden paßten zusammen. Die Uhr tickte würdevoll, draußen auf dem Platz schlug ein Fensterladen an eine Wand. Oriol ging auf Elisenda zu. Er hätte gern ihre Hände genommen. Was ist los, fragten ihn ihre kupferbraunen Augen.
»Bürgermeister Targa will einen Jungen umbringen lassen.«
»Was sagst du da?« Sie war entsetzt.
Er erzählte ihr alles, und sie hörte schweigend zu. Daß er Valentí Targa nicht davon abbringen konnte. Daß Rosa empört war, wütend. Daß sie jeden Tag kühler und distanzierter war. Daß Rosa ihm heute, kaum, daß er aus der Schule nach Hause gekommen war, gesagt hatte: »Weißt du, was man mir erzählt hat?«
Oriol sah Rosa neugierig an, während er sich die Jacke auszog.
»Daß du Joan Ventureta verraten hast.«
»Ich?«
»Sie sagen, du hättest gehört, wie die Ventura-Mädchen über ihren Vater gesprochen haben. Daß er sie manchmal nachts heimlich besucht.«
»Wer sagt denn so was?«
»Alle.«
»Rosa …«
»Wenn du nicht ernsthaft etwas unternimmst, glaube ich es am Ende auch noch.«
Oriol setzte sich, er war wie erschlagen. Wie konnte jemand denken, daß er …
»Was soll ich denn machen? Auf Knien habe ich ihn angefleht aufzuhören. Außerdem wird er dem Jungen nichts tun, Rosa, das weiß ich.«
»Hier im Dorf meinen sie, er sei dazu fähig und zu Schlimmerem. Und die aus Altron, die ihn gut kennen, sagen, er ist ein übler Bursche.«
»Und ich sage dir, daß er es nicht tun wird. Das ist unmöglich.«
»Laß uns nach Sort gehen und ihn anzeigen. Laß uns zu irgendwem gehen!«
»Die würden uns auslachen. Und hinterher wären wir dran.«
»Du bist ein Feigling.«
»Ja. Aber Targa wird ihn nicht umbringen. Und ich habe kein Kind verraten!«
»Es ist schrecklich, daß meine eigene Frau so etwas denkt«, sagte Oriol. Und da er sich schon ein wenig wie zu Hause fühlte, ließ er sich in einen Sessel sinken, ohne um Erlaubnis zu fragen. Elisenda setzte sich in den anderen Sessel und nahm seine Hand. Sie war sehr ernst, sagte aber nichts.
»Du hast Einfluß auf diesen Mann«, sagte Oriol flehend.
Elisenda hielt seine Hand fest, und trotz seiner Bestürzung fühlte Oriol einen angenehmen Schauer.
»Ich habe auf niemanden Einfluß.«
»Nun, man sagt …«
Oriol hätte sich die Zunge abbeißen
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