Die Stimmen des Flusses
einer erstaunten und zunehmend empörten Ramona beschämt, er sei nicht, was er scheine, sie solle nicht erschrecken, aber seine Familie – nicht er natürlich, um Himmels willen – aber seine Familie sei … man könnte sagen, dem System treu ergeben, und seine Bräune komme vom Skifahren. Es sei erst seine zweite Zugfahrt, die erste sei die Hinreise gewesen; im Sommer fliege er zum Skilaufen nach Argentinien, und er sei unverschämt reich. Ob sie ihn denn immer noch liebe?
Der Zug verließ gerade den Bahnhof von Perpignan, undbevor er an Fahrt gewann, sprang Ramona rasch ab, mit verweinten Augen, zerbrochenen Träumen und zerstörten Illusionen. Der untröstliche Marcel, der nicht hinterherspringen konnte, weil der Zug inzwischen zu schnell war, und immer wieder verzweifelt »Ramona, Ramona« rief, bot seinen unbekannten Abteilgenossen ein willkommenes Spektakel.
Im Alter von dreiundfünfzig Jahren beschloß Senyora Elisenda Vilabrú, verwitwete Vilabrú, daß es an der Zeit sei, ihr Leben zu ändern. Sie kaufte sich ein Ticket nach Fiumicino. Zu diesem Zeitpunkt hatte sie sich bereits an allen entscheidenden Stellen Respekt verschafft. Sie hatte so früh damit begonnen und die Zeit so gut genutzt, daß kaum noch erkennbar war, was sie für die Mächtigen so attraktiv machte. War es ihr natürliches Talent oder die Tatsache, daß sie ein gewaltiges Vermögen an Ländereien und Geld geerbt hatte? Vielleicht war es auch der gründlichen Erziehung der Theresianerinnen zu verdanken, die sie gelehrt hatten, daß sie sich nicht wundern dürfe, in der Welt, der sie nun einmal angehörte, Menschen ohne Moral und ohne Prinzipien zu begegnen, und daß in dieser Welt das einzig Unverzeihliche schlechtes Betragen war. Ihre guten Kontakte aus der Zeit in San Sebastián, ihr natürliches Talent, ihr Charme, ihre Härte im entscheidenden Augenblick taten ein übriges, daß sie in der Geschäftswelt und der Welt der dazugehörigen politischen Kontakte bald unumgänglich war. Am bemerkenswertesten war vielleicht, daß sie als eine der ersten in den Wintersport investiert und vor allen anderen wagemutig auf das Geschäft mit Sportartikeln gesetzt hatte. Sie verstand, daß die Qualität der Artikel weniger wichtig war als ein guter Markenname, und hatte der Skepsis ihrer Berater einschließlich Gasulls zum Trotz eine Menge Geld in gutes Markendesign gesteckt, Jahrzehnte, bevor dies gang und gäbe wurde. Und so erlangte sie das Prestige der Vilabrú-Sportartikel, die aus Marketinggründen in Bru umbenannt wurden: Skier, Stöcke, Stiefel, Schneeschuhe, Handschuhe, Brillen, Kakaocreme undHosen, für die Karl Schranz warb;Tennisschläger,Tennisbälle, Tennisnetze, Stühle für die Schiedsrichter beim Tennis, Pulswärmer für Tennisspieler, Pullover und Hemden, verkauft mit Hilfe des Lächelns von Gimeno, Laver und Newcombe, Hockey- und Eishockeyschläger,Volleybälle,Volleyballnetze, Hand-, Basket- und Fußbälle und die leichten Turnschuhe der Marke Brusport. Und die wunderbaren Tischtennisschläger, die in die USA, nach China und Schweden exportiert wurden, weil sie Leichtigkeit, Präzision und außergewöhnliche Zuverlässigkeit boten. Das alles schaffte sie ganz allein, weil niemand in ihrer Umgebung an den Erfolg dieser Strategie glaubte. Sie liebte es, gegen den Strom zu schwimmen, sich allein auf ihre Eingebung zu verlassen, selbst wenn der Ausgang ungewiß war. So war ihr ganzes Leben gewesen, und so war es immer noch. Davon abgesehen, hatte sie Gesellschaften gegründet, hatte ihnen vorgestanden und hatte ihr Vermögen gemehrt, einzig aufgrund ihres Riechers und der Ratschläge von Rechtsanwalt Gasull, eines konservativen, vorsichtigen Mannes, der alles andere als brillant war, aber den unschätzbaren Vorzug besaß, beinahe immer gut informiert zu sein.
Böse Zungen behaupteten, Elisenda Vilabrú habe stets einen persönlichen Botschafter bei der Ministerkonferenz, und diese bösen Zungen waren manchmal fast ebenso gut informiert wie Rechtsanwalt Gasull. Tatsächlich fand sich unter den Günstlingen General Francos häufig ein Rechtsanwalt, ein hoher Beamter oder ein Landbesitzer, der zum richtigen Zeitpunkt eine Finanzspritze in Form einer Akquisition von Wertpapieren durch Senyora Elisenda erhalten hatte. Außerdem kaufte sie emsig Hügel um Hügel riesige Ländereien zusammen, vor allem im Pallars, wo sie ihren Triumph zeigen wollte, aber auch sonst überall, wo sich die Gelegenheit bot. Es hieß, der halbe Doñana
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