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Die Stimmen des Flusses

Die Stimmen des Flusses

Titel: Die Stimmen des Flusses Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jaume Cabré
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über Frankreich nach San Sebastián, ich kenne einen Schmuggler, der uns ohne weiteres führen würde, und der Vater hatte nachdenklich zugehört undgesagt, nun ja, vielleicht sollten wir darüber reden. Wer ist es? Der Mann von der Ventura, er kennt alle Täler und Pfade wie kein anderer. Aber es war zu spät, denn nachdem drei Dreckskerle aus dem Dorf den Anarchisten Bescheid gegeben hatten, kam der Trupp aus Tremp und jagte ihrem Vater eine Kugel ins Genick, und meinen armen Josep haben sie mit Benzin übergossen. Und Santiago erinnerte sie wirklich sehr an Josep. Fast war es, als heiratete sie die Erinnerung an Josep und nicht Santiago Vilabrú Cabestany (von den Vilabrú Comelles und den Cabestany Roures).
    Sie erzählte ihm, was sie empfand und was sie nach ihrer Rückkehr nach Torena zu tun gedachte, und er unterdrückte ein Naserümpfen und sagte, »Sehr schön, meine Liebste, aber jetzt sollten wir erst mal an uns denken«, was heißen sollte, gehen wir ins Bett und vollziehen wir die Ehe, ich kann es kaum erwarten, sie nach Leibeskräften zu vollziehen. Als sie fertig waren, beharrte Elisenda: »Ich will, daß drei Leute aus dem Dorf für das zahlen, was sie getan haben.« Santiago Vilabrú kratzte sich am Kopf und sagte: »Das ist nichts für mich. Weißt du was? Das beste wird sein, wir ziehen nach Barcelona, da siehst du alles nicht mehr so verbissen, und von Zeit zu Zeit fährst du nach Torena.« Sie verschränkte die Arme und sagte, »Es wird keinen Vollzug mehr geben, bis du mir schwörst, daß wir nach Torena ziehen«, und er sagte: »Wie du willst, Liebste.«
    »Bist du bereit, den Tod meines Vaters und meines Bruders zu rächen?«
    »Natürlich. Laß noch mal deine Brüste sehen. Komm her, Schatz.«
    »Nein. Schwör es mir.«
    Schließlich trafen sie eine Abmachung: Er würde ihr den richtigen Mann zeigen, »ich weiß einen, der ideal für diese Aufgabe ist: Er kommt aus der Gegend, kennt die Leute und hat das, was es braucht, um … Knöpf deine Bluse auf, mach schon.«
    »Wer ist es?«
    »Ein Bekannter von mir von den Roias aus Altron. Er hat mir schon gute Dienste geleistet … Er versteht es zuzupacken.«
    »Wo kann ich ihn finden?«
    »In Burgos. Komm her, meine hübsche Blume.«
    Nach viermaligem Vollzug erlangte Elisenda Vilabrú Ramis am zweiten Tag ihrer Ehe mit Hilfe eines fünfminütigen Gesprächs und eines prall gefüllten Umschlags eine Sondergenehmigung und machte sich mit Bibiana im Taxi auf den Weg nach Burgos. Schon seit ein paar Tagen war sie dabei, die eindringlichen Lehren Mutter Venàncias zu überdenken, denn allmählich erkannte sie, daß die Welt den Bösen, den Mördern, Kommunisten, Anarchisten, Gottlosen, Freimaurern, Juden und Katalanisten gehörte, wenn man nicht zusah, wo man blieb. Und so mußte sie wohl die Gebote der Moral abwägen und sich überlegen, welche von ihnen sie momentan außer Betracht lassen konnte. Die Beichte, die sie vor ihrer Hochzeit beim Militärpfarrer Hauptmann Don Fernando de la Hoz Fernández y Roda abgelegt hatte (der beleidigt war, weil der Militärpfarrer Oberst Macías die Trauung vollziehen durfte), hatte ihr schon die Augen geöffnet, denn der gute Mann hatte ihr nach einem glühenden Bekenntnis zum Caudillo versichert: »Alles, wirklich alles, meine Tochter, was zur Vernichtung der Horden des Bösen, der Mörder, Kommunisten, Atheisten, Freimaurer, Juden und separatistischen Katalanen beiträgt, ist Gott dem Herrn gefällig, der Gerechtigkeit übt und die Göttliche Strafe verhängt und der die geheiligte Einheit Spaniens gewährleistet. Und denk nur an den Goel, den biblischen Bluträcher, den kein Theologe und kein Papst je verachtet hat. Für mich heißt das nichts anderes als drauf auf die Roten. In diesen Zeiten, meine Tochter …« (Hier mußte Hauptmann Fernando de la Hoz Fernández y Roda innehalten, sich mit einem Taschentuch die Stirn abwischen und Luft holen, denn trotz des Trenngitters war er völlig betäubt von dieser samtenen Stimme, den funkelndenAugen, in denen die Flamme des Höchsten leuchtete und sie in Leidenschaft verwandelte, dem unschuldigen Schwingen der brillantbesetzten Ohrringe und diesem sinnlichen Duft, der mich verrückt macht). Er schneuzte sich, um sich zu beruhigen, und fuhr dann fort: »Ich sagte, in diesen Zeiten, meine Tochter, sind alle Akte der Gerechtigkeit von unserem Herrn Jesus Christus gern gesehen. Und jetzt bete mit mir ein Avemaria. Nein, bete du allein vor dem Höchsten, meine Tochter,

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