Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Stimmen des Flusses

Die Stimmen des Flusses

Titel: Die Stimmen des Flusses Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jaume Cabré
Vom Netzwerk:
und vertraue dich der Jungfrau von der Unbefleckten Empfängnis an, der Schutzpatronin des irdischen Heeres. Ego te absolvo a peccatis tuis et hic et nunc, domina, te moechissare cupio.«
    »Amen«, antwortete Elisenda andächtig.
    Die gesamte Kälte des Spätwinters schien sich in der Pension am Paseo del Espolón Viejo in Burgos zu sammeln, wo sie sich verabredet hatten, und als Bibiana ihr in den Mantel half, wagte sie zu sagen: »Paß auf, mein Kind, vielleicht ist das alles eine Nummer zu groß für dich.« Aber Elisenda wollte keine Ratschläge hören. Sie sagte, »Danke, Bibiana, aber es ist mein Leben«, und ging aus dem Zimmer, in die kleine Eingangshalle, wo der Mann auf sie wartete. Er war mittleren Alters, eher klein, mit eisblauen Augen und dunklem Haar, und gab ihr verwundert und neugierig die Hand. Während Bibiana die ausgemusterten Mäntel wegräumte, dachte sie, aber mein Leben ist dein Leben, Kind, hast du das noch nicht verstanden?
    »Nein, ich will keine Wände mit Ohren, gehen wir lieber spazieren«, sagte sie, als der Mann mit den blauen Augen ihr vorschlug, in ein Café zu gehen, das er kannte.
    Sie waren in der Nähe der Plaza de Prim, und der Nebel, der vom Arlanzón aufstieg, hüllte nach und nach das ganze Viertel ein. Als sie schweigend den Platz überquerten, mußten sie anhalten, weil eine endlos lange Karawane von Lastwagen der nationalen Armee vorbeizog, mit mittleren Artilleriegeschützen beladen, unterwegs zu unerbittlicher Zerstörung. Das Paar applaudierte, ohne sich dieHandschuhe auszuziehen, und die übrigen Passanten, deren Weg die Karawane gekreuzt hatte, taten es ihnen gleich, mehr als drei Minuten lang. Als der Wagen mit dem roten Schlußlicht vom Platz fuhr, dem Sieg entgegen, schlug sie vor, einfach weiterzugehen. An der Placeta de San Lesmes angelangt, wandte sie sich dem Mann mit den eisblauen Augen zu und sagte: »Du sollst mein Goel sein.«
    »Was?«
    Ratlose Dunstwolken stiegen aus seinem Mund auf.
    Sie hatte ihn gleich geduzt, obwohl er älter war als sie, um von Anfang an klarzustellen, wer das Sagen hatte. Jetzt lächelte sie ihm kurz zu. Der Mann stieß noch immer ratlose Wolken aus. Elisenda erklärte ihm, was ihrem Vater und ihrem Bruder zugestoßen war; sie wunderte sich, daß er nicht davon hatte reden hören, und er erwiderte, er lebe seit Jahren nicht mehr in Altron. Nein, er hatte von diesen Ereignissen nichts gehört. »Scheußlich, hm? Und was soll ich jetzt tun?«
    »Du sollst den Tod meines Vaters und meines Bruders rächen.«
    »Ach du Scheiße.« Er hatte nur gemurmelt, aber es tat ihm leid, es vor diesem Engel überhaupt gesagt zu haben.
    »Es geht darum, Gerechtigkeit zu üben, strikte Gerechtigkeit. Die Gerechtigkeit Gottes, die die wahrhaftig Schuldigen treffen wird.«
    Der eisblaue Blick glitt prüfend über diese hinreißende Frau, und er war drauf und dran, zu sagen: »Wenn Sie befehlen, werde ich es tun, ohne mit der Wimper zu zucken.« Aber er verkniff es sich noch rechtzeitig. Statt dessen musterte er sie wieder, erstaunt darüber, daß sie in dieser schneidenden Kälte in aller Seelenruhe übers Töten sprach.
    »Und was ist dein Bestreben?« fragte sie ihn.
    »Mein was?«
    »Dein Traum.«
    »Ach so. Die Welt von Kommunisten und Separatisten säubern. Ich bin in die Falange eingetreten.«
    »In Ordnung. Ich werde dir sagen, wer die Kommunisten und Separatisten von Torena sind.«
    »Vielleicht kenne ich ja einen von denen.«
    »Joan Bringué von den Feliçós, Rafael Gassia von den Misserets und Josep Mauri aus der Familie von Ignasis Maria. Und noch ein paar andere, die nicht beteiligt waren, aber sich ins Fäustchen gelacht haben, als sie meinen Bruder mit Benzin übergossen haben.«
    Schweigend gingen sie ein paar Schritte weiter. Die Kälte knirschte unter ihren Schuhsohlen. Plötzlich blieb er stehen und sah sie an. Er fand sie wunderschön.
    »Und warum sollte ich das tun?«
    »Wir werden einen Vertrag unterzeichnen. Du wirst für den Rest deines Lebens ausgesorgt haben.«
    »Den Josep Mauri kenne ich.«
    »Sieh dir erst mal den Vertrag an, und dann sagst du mir, ob du noch jemanden kennst.«
    Sie listete ihm in allen Einzelheiten, aber ein wenig mechanisch die Beträge auf, die er für jede einzelne Exekution erhalten würde, erklärte ihm, wie bequem er es für den Rest seines Lebens haben werde und in welchem Verhältnis sie von nun an stünden. »Wenn du einschlägst, schwöre ich dir, meinen Teil des Vertrags einzuhalten, solange

Weitere Kostenlose Bücher