Die Stimmen des Flusses
ich lebe.«
»Sobald die Armee dort einmarschiert, werden sie rennen wie die Hasen.«
»Oder auch nicht. Sie wissen nicht, daß ich zu allem bereit bin.« Sie atmete die eisige Luft ein und fuhr fort: »Auf jeden Fall erwarte ich, daß du sie erwischst, bevor sie fliehen.«
Der Mann dachte ein paar Sekunden lang nach. Er rechnete sich seinen Gewinn aus, wog die Lage ab: »Und wenn die Soldaten sie kaltmachen, bevor ich zur Stelle bin?«
»Das darf nicht geschehen. Ich will sie bestrafen. Es soll eine persönliche Strafe sein. Meine Strafe, die meines Goels. Wenn du sie strafst, wird das so sein, als ob ich es täte. Wenn ein anderer es tut, kassierst du nichts.«
»Verstanden. Aber wie …«
»Ich kümmere mich schon um das Wie. Du gehst nach Torena, sobald das wieder möglich ist, und hältst mich auf dem laufenden. Ich kehre zurück, wenn ich es für richtig halte. Alles muß genauestens geplant werden.«
»Wie zum Beispiel?«
»Du mußt dich an der Front bewähren. Dann werde ich dich zum Bürgermeister von Torena machen.«
»Du?« Eisiges Schweigen. »Sie?«
»Du kannst mich duzen. Wirst du mein Goel sein?
»Was heißt das, Goel?«
»Nimmst du an? Traust du dich?«
»Wenn du dich an den Vertrag hältst, von dem du mir erzählt hast …« Er zweifelte noch, dann wiederholte er, als wolle er eine Last abschütteln: »Was heißt Goel?«
»Das ist der biblische Bluträcher. Nimmst du an?«
»Wenn der Vertrag, den ich unterschreibe, so ist, wie du gesagt hast, nehme ich an. Aber …«
Er sah ihr in die Augen. Sie hielt seinem Blick stand.
»Aber was?«
»Nur unter einer Bedingung.«
»Welcher?«
»Daß wir eine Nummer schieben.«
»Was heißt das: eine Nummer schieben?«
Er erklärte ihr, das heiße, die Ehe zu vollziehen, nur eben ohne Ehe. Bumsen. Moechissare. Jetzt. Ich kenne einen Ort, wo wir so lange zusammensein können, wie wir wollen. Ich zeige dir den Himmel.
Sie blieb stehen und musterte ihn von Kopf bis Fuß. Den Himmel. Einen Moment lang fürchtete der Mann, er sei zu weit gegangen, habe zu sehr gedrängt. Schon sah er seinen Posten in Torena, das Geld und die Nummer den Bach hinuntergehen, aber wider alle Vernunft sagte sie, das sei nur gerecht, denn wenn er für sie gewisse Dinge tue, müsse sie im Gegenzug … Sie verstummte, weil ein älteres Ehepaar an ihnen vorüberging und sie keinen Ärger wollte. Die Pitarchs hatten erzählt, daß ein paar Leute aus Calella scharfverwarnt worden waren, weil man anscheinend in Burgos auf der Straße und in der Öffentlichkeit nicht Katalanisch sprechen durfte. Als sie wieder allein vor dem Eingang von San Lesmes standen, sagte sie: »Einverstanden, aber es muß jetzt gleich sein, ich habe es nämlich eilig.«
Auf dem Weg zu dem Ort, den er kannte, erklärte sie ihm, sie werde mit einem der Feldadjutanten von General Antonio Sagardía Ramos sprechen, damit dieser gleich am nächsten Tag einen neuen Unteroffizier in das Oberkommando der Zweiundsechzigsten Division des Armeekorps von Navarra aufnehme, das kurz davor stand, über den Pallars in Katalonien einzumarschieren, den Unteroffizier … Wie heißt du noch mal mit Vornamen?«
»Valentí.«
Valentí Targa, gebürtig aus Altron, ehemaliger Schmuggler und ausgezeichneter Kenner der Gegend und ihrer Bewohner, ein möglicherweise perfekter Informant, ein unbeirrbarer Patriot, Falangist, erfüllt vom Verlangen, dem zügellosen Katalonien Licht, Ordnung, Gesetz und Religion zu bringen, ganz gleich, mit welchen Mitteln. Er entgegnete ihr bewundernd, er sei verblüfft, wie ein junges Mädchen von … wieviel Jahren?
»Zweiundzwanzig.«
… wie also eine Frau von zweiundzwanzig in der Lage sei, die Dinge so präzise zu organisieren. »Nein, bitte laß die Ohrringe an.«
Die Nummer war beherrscht vom Stöhnen des Mannes, der das Glück, das er in den Armen hielt, nicht zu fassen vermochte. Vielleicht hegte er die wahnwitzige Hoffnung, dieser Akt könne sie für immer zu Liebenden machen. Aber kaum hatte er seine Erregung in ihren Körper ergossen, da stand Elisenda auf, stellte sich nackt und schlank vor den noch schwer atmenden Mann und sagte: »Nun gut, das war deine Bedingung. Aber von nun an wirst du mich nie wieder anrühren. Das ist mein Preis.«Carmencita. Nach einer schweigenden Rückfahrt, während deren Bibiana verstand, daß das Kind große Pläne schmiedete und sie es nicht würde aufhalten können, mußte Elisenda erfahren, daß die Frau, die in ihrer Abwesenheit ihren Platz
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