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Die Stimmen des Flusses

Die Stimmen des Flusses

Titel: Die Stimmen des Flusses Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jaume Cabré
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eingenommen hatte und ein widerliches Parfüm benutzte, Carmencita hieß.
    »Du versuchst nicht einmal, es vor mir zu verheimlichen«, sagte sie fassungslos zu ihrem Mann.
    »Warum denn auch? Du würdest es doch sowieso herausfinden. Ich kann nicht einen Tag ohne Sex leben, das solltest du wissen, meine Liebe.«
    Elisenda setzte den Koffer ab und wartete, bis die verwirrte Carmencita ihre Röcke geordnet und, noch barfuß, das Zimmer verlassen hatte, um sich draußen auf dem Treppenabsatz fertig anzuziehen.
    »Morgen wirst du mir ein paar Papiere unterschreiben.«
    »Es gibt keine Scheidung. Ist dir das klar?«
    »Das ist es nicht. Es sind die Testamente, über die wir gesprochen hatten.«
    »Ah ja, sehr gut.« Santiago ließ sich im Sessel neben ihr nieder: »Das heißt also, du bist mir nicht böse?«
    Sie antwortete nicht und würdigte ihn keines Blickes. Die fünfzehn Jahre der Gleichgültigkeit hatten bereits begonnen. Er fuhr fort: »Also, wenn du nicht böse auf mich bist, könnten wir doch versuchen …«
    Sie sah ihn an, in Gedanken weit fort, bei unterschriebenen Papieren und ihrem Goel mit seinem festen, gebräunten Körper, und sagte nichts. Er beharrte: »Wir könnten doch … ihr beide, sie und du und ich … Das wäre …« Seine Augen leuchteten: »Hast du das schon mal gemacht?«

22
    Nur die Frauen aus dem Hause Ventura waren gekommen, dazu Manel Carmaniu, ein Cousin der Ventura, und ein paar mürrische alte Verwandte von den Esplandius aus Altron, die Gesichter von stummem Haß verzerrt, die Frauen der Misserets, die seit Rafaels Tod den Kopf hoch trugen, weil sie nichts mehr zu verlieren hatten, Felisa von der Familie von Ignasis Maria, deren Mann geflohen war, wer weiß, wohin, ihr zurückgebliebener Schwager Cassià Mauri, eine Cousine der Bringués von den Feliçós und Hochwürden Aureli Bagà, der nicht wußte, wohin er blicken sollte, und dachte, mein Gott, wann wird das alles enden. Außerdem war Pere Serrallac da, der auf den kleinen Friedhöfen der Dörfer am Westhang den Totengräber machte und vor kurzem ein Geschäft mit Grabsteinen, industriell gefertigten Skulpturen, Dachschindeln und Pflastersteinen eröffnet hatte, das zur Zeit noch nicht besonders gut lief, weil viel Papierkram zu erledigen war und das Geschäft wenig abwarf. Wer hätte gedacht, daß ich jemals ein Geschäft aufmachen würde, ich, der ich mein Leben lang internationale Solidarität gepredigt habe. Nur zwölf Menschen gaben Ventureta, den eine Kugel ins Auge getötet hatte, das Geleit. Viele Dorfbewohner tuschelten, daß sie ja hingegangen wären, aber sie wagten sich nicht an den vier Männern Targas vorbei, die in ihren Falangeuniformen an der Wegbiegung standen und niemandem den Weg versperrten, aber jeden durchdringend musterten, der sich dem Friedhof näherte, und sich Namen und Gesichter merkten, während Senyor Valentí in Sort,Tremp oder Lleida war und dort berichtete, was wirklich vorgefallen war und daß man auf das Gerede böser Zungen nichts geben solle. Wenn es einen Gott gibt, wird er es ihnen heimzahlen,verdammt noch mal. Andere blieben zu Hause, spitzten die Ohren und dachten, eigentlich geschieht es ihnen ja recht, auch wenn Ventura kein Anarchist war. Irgendwas wird er schon auf dem Kerbholz haben, bei seiner Vergangenheit. Welche Vergangenheit? Na, er war doch Schmuggler. Wie du. Ja, aber er hat viel früher angefangen, ein alter Fuchs war er. Traurig ist es schon, schließlich war er noch ein Kind, aber du wirst schon sehen, wie die Leute von jetzt an parieren werden. Da hast du recht. Sie sind von ihrem hohen Roß runtergestiegen. Und Bibiana von Casa Gravat sagt, Senyora Elisenda liegt mit einer fürchterlichen Migräne im Bett. Die arme Frau. Arm? So arm wär ich auch gern mal. Also, mir haben sie erzählt, daß sie gar nicht da war, daß sie gestern nach Barcelona gefahren ist. Da wohnt sie einem direkt gegenüber, und man weiß nie, wo sie steckt.
    »Ich weiß wirklich nicht, wieso zum Teufel er ein christliches Begräbnis bekommt.«
    »Na, hör mal …«
    »Nein, nein. Der Pfarrer hätte sich weigern müssen. Ventura ist ein gottloser Mensch.«
    »Na ja, vielleicht besser so …«
    »Das eine ist der Vater, aber Sohn und Frau sind etwas ganz anderes.«
    »Nein, nein. Ich finde … Paß nur auf, daß es mir nicht plötzlich einfällt, dich anzuzeigen!«
    Der Pfarrer hielt die Messe in Latein, und keiner der Anwesenden wagte es, ihn zu bitten, die Zeremonie noch ein wenig auszudehnen, denn

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