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Die Stimmen des Flusses

Die Stimmen des Flusses

Titel: Die Stimmen des Flusses Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jaume Cabré
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Paris.
    »Nein, Pater. Ich bin nicht gläubig.«
    Aber ich habe einen Sohn, der Benediktinermönch ist.
    »Und warum wollen Sie dann beichten?«
    »Eigentlich will ich gar nicht beichten. Ich will Sie nur unter dem Siegel des Beichtgeheimnisses um Rat fragen.«
    »Hören Sie, mein Kind: das Beichtgeheimnis … Ach, was soll’s: Sprechen Sie, und wenn ich Ihnen helfen kann, werde ich es tun. Und nichts von dem, was Sie sagen, wird nach draußen dringen.«
    »Schwören Sie mir das?«
    »Wie soll ich denn um Gottes willen so etwas schwören?«
    »Ja, ich habe Bedenken, und daher habe ich geraten, den Fall des ehrwürdigen Fontelles zurückzustellen.«
    »Was für Bedenken?« Er schwieg, bis Senyora Elisenda sagte: »Schießen Sie schon los.«
    »Nun, Sie sind die einzige lebende Zeugin seines Todes.«
    »Wie viele Märtyrerinnen und Märtyrer«, mischte sich Rechtsanwalt Gasull ein, »hätten nicht dafür gezahlt – bildlich gesprochen, versteht sich –, diese Frau zum Zeugen zu haben!«
    »Gewiß. Aber …«
    Senyora Elisenda beugte sich zu Gasull hinüber, unddieser neigte ebenfalls seinen Kopf zu ihr hin. Er war gerührt, denn eigentlich gestattete sie diese Vertraulichkeit schon lange nicht mehr. Den Nardenduft nahm er längst nicht mehr wahr. Fast hätte er sie auf ihre toten Augen geküßt.
    »Biete ihm Geld«, wisperte sie statt dessen.
    »Das könnte nach hinten losgehen.«
    »Nicht bei diesem Kerl. Biete ihm eine ordentliche Summe.«
    »Wieviel?«
    »Was weiß ich! Das ist deine Aufgabe.«
    Beide lächelten, und dann erklärte Rechtsanwalt Gasull, sie könnten nicht länger warten, die Seligsprechung des Kandidaten Fontelles müsse im März erfolgen, wie es ihnen im Vatikan zugesagt worden war. Und dann nannte er laut den Betrag, eine exorbitante Summe.
    »Damit jemand seliggesprochen wird, muß er Tugenden in heldenhaftem Grad bewiesen haben. So heißt das doch, oder?«
    »Worauf wollen Sie hinaus?«
    »Stellen Sie sich vor, die Kirche ist dabei, jemanden seligzusprechen, der nicht gläubig war.«
    »Das ist eine absurde Annahme.«
    »Nein. Das ist eine Tatsache.«
    In der Dunkelheit des Beichtstuhls rutschte der Geistliche unruhig hin und her. Er lauschte ihren Worten nach, und erst, als sie völlig verklungen waren, fuhr er fort: »Und woher weißt du … Und woher wissen Sie, daß es so ist?«
    »Ich fürchte, das kann ich Ihnen nicht sagen. Was raten Sie mir zu tun? Lasse ich die Feierlichkeiten platzen, oder schere ich mich nicht weiter um Selige und Heilige?«
    »Was Sie da sagen, ist so unrealistisch …«
    »Also kann der Papst sich doch irren.«
    »Sehen Sie, meine Tochter: Die Unfehlbarkeit des Papstes in Fragen der Kanonisierung ist in der Heiligen Schrift nicht verbürgt.«
    »Und was bedeutet das?«
    »Daß es sich nicht um göttlichen Glauben handelt und auch nicht um kirchlichen Glauben, denn die Kirche hat zu diesem Thema keine Doktrin veröffentlicht.«
    »Das heißt, der Papst kann sich irren, und nichts passiert.«
    »So würde ich das nicht sagen.«
    »Ich habe mich in den letzten Tagen ein bißchen schlau gemacht: Es gibt Heilige, die waren echte Fieslinge.«
    »Meine Tochter, ich muß Sie bitten, diese Ausdrucksweise zu unterlassen.«
    »Der heilige Cyrill von Alexandria. Der heilige Stephan von Ungarn. Der heilige Ferdinand von Kastilien. Josemaría Escrivá, der heilige Vinzenz Ferrer, der heilige Paulus … Alle waren brutal oder gierig nach Macht, Ehre und Reichtum.«
    »Ich weigere mich, das Gespräch in diesem Tonfall fortzusetzen.«
    »Großartig. Ihr habt euch kein bißchen verändert. Soll ich nun gegen eine der nächsten Seligsprechungen Protest einlegen?«
    »Warum sollten Sie das tun?«
    »Weil die jemanden seligsprechen wollen, der weder an Gott noch an die Kirche glaubte. Und weil sie behaupten, er sei als Märtyrer gestorben.«
    »Ein schöner Tod …«
    »Sie verstehen schon, Hochwürden. Er hat weder an Gott noch an den Himmel oder die Erlösung, weder an die Gemeinschaft der Heiligen noch an die Autorität der Heiligen Mutter Kirche geglaubt. Nicht an Heilige und nicht an die Hölle.«
    Beide schwiegen; es war ein stummes Kräftemessen. Dann fuhr Tina fort: »Er war ein Held, aber ein Märtyrer der Kirche war er nicht.«
    »Aber warum fragen Sie mich dann nach meiner Meinung, meine Tochter?«
    »Weil ich es verhindern will.«
    »Warum, wenn Sie an das Ganze nicht glauben?«
    »Weil die betreffende Person nicht verdient hat, daß ihr Andenken so verfälscht

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