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Die Stimmen des Flusses

Die Stimmen des Flusses

Titel: Die Stimmen des Flusses Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jaume Cabré
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wußte, daß er den ganzen Tag unterwegssein würde, um eine Zuckerpuppe aus Barcelona flachzulegen. Er begann, ernsthafte Überlegungen anzustellen, und schwitzte vor Angst und Verwirrung über solche Gedanken.
    Erst in der Nacht, als er an Valentís leuchtende Augen dachte, fiel ihm ein, wie er vorgehen könne. Vielleicht würde er ihn tatsächlich in einem Augenblick der Unaufmerksamkeit erwischen, auf jeden Fall aber ohne den Lockenkopf und den mit dem schmalen Schnurrbart, die an ihm klebten wie die Kletten. Wenn ich ehrlich sein soll, und ich habe Dir schon gesagt, daß ich auf diesen Seiten ehrlich sein will, meine Tochter, habe ich nicht verstanden, warum dieser Mann acht Stunden Fahrt auf sich nahm für eine … um zu … nun, um mit einer Frau zusammenzusein. Nimm es mir nicht übel. Aber ich habe zu viele Nächte wach gelegen und an Ventureta gedacht, an den stillen Blick von Mutter Ventura, an den stummen Vorwurf des halben Dorfes, an den ungewollten Beifall der anderen, an die Angst aller und vor allem an die Verachtung Deiner Mutter und an Dich, meine Tochter, die ich nicht kennengelernt habe, weil ich mich wie ein Feigling benommen habe … Und in dem Moment, als ich die Schatten des blauen Falangehemdes malte, die Augen weit aufgerissen wegen meiner Entdeckung, habe ich beschlossen, daß man nur dann die Feigheit überwindet, wenn man an den Tod als reine Formsache denkt. Das macht einen nicht mutig, aber es hilft. Dann heckte ich einen perfekten Plan aus. Naja, ich dachte, er sei perfekt.
    Nachdem er um drei Uhr morgens im Rathaus vorbeigegangen war und die Browning eingesteckt hatte, die Senyor Valentí in der dritten Schublade aufbewahrte, und nachdem er sich ungefähr darüber klargeworden war, wie das Ding wohl funktionierte, und sichergestellt hatte, daß sich Kugeln im Lauf befanden, verließ er Torena. Er spürte die mißtrauischen Blicke des ganzen Dorfes, und ihm war, als beschuldigten sie ihn, noch immer ein Feigling zu sein, der nun durch einen schwachsinnigen Akt Gnade zu finden hoffte.Die ersten Kilometer ließ er das Motorrad mit ausgeschaltetem Motor rollen, ohne Licht, betend, daß die Guardia Civil nicht auf die Idee käme, dort Streife zu fahren. Noch bevor er in Sort war, hatte er trotz der Handschuhe eiskalte Hände und noch vier bis fünf Stunden Fahrt vor sich.
    Sicher hat er ihr einen Füllfederhalter gekauft, dachte er, fünf Schritte hinter Senyor Valentí. Plötzlich drehte Targa sich um, als hätte er seine Blicke im Nacken gespürt, und Oriol hielt sich erschrocken das Taschentuch vors Gesicht, tat so, als schneuzte er sich, und verfluchte sich für seine Leichtsinnigkeit. Er winkte ein Taxi herbei, und als es anhielt, sagte er, Verzeihung, er wolle bloß fragen, wie man zur Kolumbussäule komme, und der Taxifahrer verfluchte den Scheißkolumbus und fuhr an, ohne seine Frage zu beantworten, und als er sich vorsichtig umblickte, sah er gerade noch, wie Senyor Valentí am Anfang des Carrer de Llúria in einem Hauseingang verschwand.
    Während Valentí Targa den Vormittag seines freien Tages in den Armen einer Frau verbrachte, die ihn um den Verstand brachte, träumend, in die weiche Watte der Zärtlichkeit gebettet, traten viele Leute aus den Häusern, um zu sehen, ob die Sonne die Kälte vertreiben würde, so daß ihre Kinder, warm eingepackt, sich in Escullera oder auf dem Tibidabo austoben konnten. Und Oriol verbrachte den strahlenden Morgen damit, den Hauseingang im Auge zu behalten, mit der Pistole in seiner Hosentasche herumzuspielen und zu denken, du warst zu hart zu mir, Rosa, wir hätten früher darüber reden sollen, ich bin kein Faschist, Rosa, nur ein Angsthase, aber jetzt versuche ich, es in Ordnung zu bringen, Rosa; ich weiß wohl, daß es zu spät ist, aber die Wut darüber, daß es zu spät ist, hält meine Angst in Schach. Wie heißt unsere Tochter? Ich habe Hunger, Rosa, aber ich will den Hauseingang nicht aus den Augen lassen. Und wenn ich das hier nicht überlebe, Rosa und Ventura, dann sollt ihr wissen, daß Senyor Valentí Targa den Schuß verdient hat; ich werdeversuchen, ihn ins Auge zu treffen, wie er es mit Ventureta gemacht hat. Im Namen der göttlichen Gerechtigkeit, wenn es einen Gott gibt, was ich nicht glaube. Nein, er existiert nicht. Erklär das unserer Tochter, Rosa. Das dachte ich, mein Kind.
    Tina hielt inne und schob Oriols Heft näher ans Licht. Ein paar Zeilen waren ausgestrichen, und man konnte nicht entziffern, was Oriol Fontelles

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