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Die Stimmen von Marrakesch

Die Stimmen von Marrakesch

Titel: Die Stimmen von Marrakesch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elias Canetti
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schon ein wenig schuldbewußt, denn ich hatte mich nicht enthalten können, wieder einen Blick auf die Frau im Hof hinten zu werfen, und das war ihnen nicht entgangen.
    »Nein«, sagte der jüngere Bruder. »Es war eine Hochzeit hier gestern.«
    »Eine Hochzeit? Gestern?« Ich war sehr erstaunt, weiß Gott warum, und auf meine lebhafte Reaktion hin schien es ihm angebracht zu ergänzen: »Mein Bruder hat geheiratet.«
    Er wies mit einer leichten Bewegung des Kopfes auf den älteren Bruder, den ich so vornehm fand. Nun hätte ich mich für die Auskunft bedanken sollen und wieder meiner Wege gehen. Aber ich zögerte und der junge Ehemann sagte mit einer einladenden Armbewegung:
    »Entrez! Treten Sie ein!« Der Bruder fügte hinzu: »Wollen Sie das Haus sehen?« Ich dankte und betrat den Hof.
    Die Kinder - es waren ihrer vielleicht ein Dutzend - stoben auseinander und machten mir Platz. Ich überschritt den Hof, die beiden Brüder geleiteten mich. Die leuchtende junge Frau erhob sich — sie war noch viel jünger, als ich gedacht hatte, sechzehn vielleicht -, und wurde mir von dem jüngeren Bruder als seine Schwägerin vorgestellt. Sie war es, die tags zuvor geheiratet hatte. Man öffnete eine Tür in ein Gemach, das auf der fernen Seite des Hofes lag, und bat mich einzutreten. Das ziemlich kleine Zimmer, peinlich ordentlich und rein, war nach europäischer Weise eingerichtet: links von der Tür befand sich ein breites Doppelbett, rechts von ihr ein großer quadratischer Tisch, der mit einer dunkelgrünen Samtdecke überzogen war. Dahinter an der Wand stand ein Büffet, in dem man Flaschen und Likörgläschen sah. Die Stühle um den Tisch vervollständigten das Bild; es sah aus wie in irgendeiner sehr bescheidenen französischen Kleinbürgerwohnung.
    Nicht ein Gegenstand verriet das Land, in dem man sich befand. Sicher war es ihr bestes Zimmer, jedes andere im Hause hätte mich mehr interessiert. Aber sie meinten mich zu ehren, indem sie mir hier Platz anboten.
    Die junge Frau, die Französisch verstand, aber kaum den Mund aufmachte, nahm Flasche und Gläschen aus dem Büffet und goß mir von einem starken Schnaps ein, den die Juden hier brauen. Er heißt Mahya und sie trinken viel davon. Ich hatte im Gespräch mit Mohammedanern oft den Eindruck, daß sie, die eigentlich keinen Alkohol trinken dürfen, die Juden um diesen Schnaps beneiden. Der jüngere Bruder forderte mich zum Trinken auf. Wir hatten uns alle drei gesetzt, er, seine Schwägerin und ich, während der Ältere, der Hochzeiter, nur ein paar Höflichkeitsaugenblicke bei der Tür stehen blieb und dann wieder seiner Wege ging. Er hatte wohl viel zu tun, und da er sich mit mir ja doch nicht verständigen konnte, überließ er mich seiner Frau und seinem kleinen Bruder.
    Die Frau betrachtete mich aus ihren reglosen, braunen Augen, sie wandte keinen Blick von mir, aber nicht das leiseste Zucken in ihrem Gesicht verriet, was sie über mich dachte. Sie hatte ein einfaches, geblümtes Kleid an, das aus einem französischen Warenhaus stammen mochte, es paßte zur Einrichtung des Zimmers. Ihr junger Schwager in seinem dunkelblauen Anzug, der lächerlich gut gebügelt war, sah aus, als sei er soeben aus der Vitrine eines Pariser Kleidergeschäfts herausgestiegen. Das einzig Fremdartige im ganzen Raum war die dunkle Hautfarbe der beiden.
    Während der höflichen Fragen, die nun vom jungen Mann an mich gestellt wurden und die ich ebenso höflich, wenn auch weniger steif zu beantworten suchte, dachte ich immer daran, daß die schöne, stumme Person, die mir gegenüber saß, vor kurzem von ihrem Hochzeitslager aufgestanden war. Es war schon spät am Vormittag, aber gewiß hatte sie sich heute spät erhoben. Ich war der erste Fremde, den sie sah, seit diese wesentliche Veränderung in ihrem Leben eingetreten war. Meine Neugier für sie kam der ihren für mich gleich. Ihre Augen waren es, die mich ins Haus hineingezogen hatten, und nun starrte sie mich unverwandt schweigend an, während ich fließend sprach, aber nicht zu ihr. Ich entsinne mich, daß ich während dieser Sitzung von einer ganz absurden Hoffnung erfüllt war. Ich hoffte, daß sie mich in Gedanken mit ihrem Hochzeiter verglich, der mir so gut gefallen hatte; ich wünschte mir, daß sie ihn mir vorziehen möge, seine schlichte Gehobenheit und leichte Würde meiner anmaßenden Fremdheit, hinter der sie vielleicht Macht und Reichtum vermutete. Ich wünschte ihm meine Niederlage und seiner Ehe Segen.
    Der junge

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