Die Stimmen von Marrakesch
taktvoll hinzu.
»Es gab nicht genug Arbeit. Man hat viele e lassen.«
»Dann wird dort kaum eine Stelle für Sie frei sein, wenn es zu wenig Arbeit gibt.«
»Schreiben Sie dem Kommandanten, daß er mir eine Stelle geben soll.«
»Ein Brief von mir hätte gar keine Wirkung, weil ich ihn nicht kenne.«
»Mit einem Brief läßt man mich vor.«
»Aber ich bin nicht einmal Amerikaner. Ich habe Ihnen gesagt, daß ich Engländer bin. Erinnern Sie sich nicht?«
Er runzelte die Stirn. Es war das erste Mal, daß er auf einen Einwand hörte. Er überlegte und sagte dann:
»Ihr Freund ist ein Amerikaner.«
Jetzt begriff ich. Ich, der leibhaftige Freund eines leibhaftigen Amerikaners sollte dem Kommandanten des Lagers von Ben Guérir einen Brief schreiben, in dem ich forderte, daß er Élie Dahan eine Stelle als ›plongeur‹ gebe.
Ich sagte, daß ich mit meinem amerikanischen Freunde sprechen würde. Er werde sicher wissen, was in so einem Falle zu tun sei. Vielleicht könne er selber einen solchen Brief schreiben; aber natürlich müsse ich ihn erst fragen. Ich wüßte, daß er den Kommandanten persönlich überhaupt nicht kenne.
»Schreiben Sie, er soll auch meinem Bruder eine Stelle geben.«
»Ihrem Bruder? Dem Uhrmacher?«
»Ich habe noch einen jüngeren Bruder. Er heißt Simon.«
»Was macht er?«
»Er ist Schneider. Er hat auch bei den Amerikanern gearbeitet.«
»Als Schneider?« - »Er hat Wäsche gezählt.«
»Und er ist auch schon seit einem Jahr weg von dort?«
»Nein. Er ist vor 14 Tagen entlassen worden.«
»Das heißt, daß man keine Arbeit mehr für ihn hat.«
»Schreiben Sie für beide. Ich werde Ihnen den Namen des Kommandanten geben. Schreiben Sie von Ihrem Hotel.«
»Ich werde mit meinem Freund sprechen.«
»Soll ich den Brief im Hotel holen?«
»Kommen Sie in zwei, drei Tagen, wenn ich mit meinem Freund gesprochen habe und dann werde ich Ihnen sagen, ob er einen Brief für Sie schreiben kann.«
»Kennen Sie den Namen des Kommandanten nicht?«
»Nein. Sie wollten mir den Namen selber geben, nicht?«
»Soll ich Ihnen den Namen des Kommandanten ins Hotel bringen?«
»Ja. Das können Sie tun.«
»Ich bringe Ihnen heute den Namen des Kommandanten. Sie schreiben ihm einen Brief, daß er mir und meinem Bruder eine Stelle geben soll.«
»Bringen Sie mir morgen den Namen.« Ich fing an ungeduldig zu werden. »Ich kann Ihnen nichts versprechen, bevor ich mit meinem Freund gesprochen habe.«
Ich verwünschte den Augenblick, in dem ich das Haus seiner Familie betreten hatte. Er würde nun täglich kommen, vielleicht mehr als einmal, und immer wieder denselben Satz wiederholen. Ich hätte nie die Gastfreundschaft der Leute annehmen sollen. Im selben Augenblick sagte er:
»Möchten Sie nicht wieder zu uns nach Hause kommen?«
»Jetzt? Nein, jetzt habe ich zu wenig Zeit. Ein andermal gern.«
Ich stand auf und verließ die Terrasse. Er stand unsicher auf und folgte mir. Ich merkte, daß er zögerte, und als wir einige Schritte gegangen waren, fragte er:
»Haben Sie bezahlt?«
»Nein.« Ich hatte es vergessen. Ich hatte so rasch wie möglich die Flucht vor ihm ergreifen wollen und den Kaffee, zu dem ich ihn eingeladen hatte, zu bezahlen vergessen. Ich schämte mich vor ihm und meine Gereiztheit verflog. Ich ging zurück, bezahlte und schlenderte mit ihm durch die Gasse, die in die Mellah führte.
Er verfiel nun in die Rolle des Führers und zeigte auf alles, was ich schon kannte. Seine Aufklärungen bestanden aus jeweils zwei Sätzen: »Das ist die Bahía. Waren Sie schon in der Bahía?« »Das sind die Goldschmiede. Haben Sie schon die Goldschmiede gesehen?«
Meine Antwort war nicht weniger stereotyp. »Ja, ich war schon dort«, oder »ja, ich hab sie gesehen.« Ich hatte nur einen simplen Wunsch: Wie bringe ich ihn dazu, daß er mich nirgends hinführt? Aber er hatte beschlossen, sich mir nützlich zu erweisen, und die Entschlossenheit eines dummen Menschen ist unerschütterlich. Als ich sah, daß er nicht locker ließ, versuchte ich es mit einer List. Ich fragte nach der Berrima, dem Palast des Sultans. Da sei ich noch nicht gewesen, sagte ich, aber ich wußte wohl, daß man nicht hinein durfte.
»La Berrima?« wiederholte er erfreut. »Meine Tante wohnt dort. Soll ich Sie hinführen?«
Nun konnte ich nicht mehr nein sagen. Ich begriff zwar nicht, was seine Tante im Palast des Sultans zu suchen hatte. War sie da vielleicht Pförtnerin? Wäscherin? Köchin? Es reizte mich, auf diese
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