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Die Stimmen von Marrakesch

Die Stimmen von Marrakesch

Titel: Die Stimmen von Marrakesch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elias Canetti
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und wisse über seine Laufbahn Bescheid. Aber da hatte ich mich geirrt; denn er wandte sich der jungen Frau zu und sagte: »Das ist der Name meiner Schwägerin. Ihr Vater heißt Samuel.« Ich sah sie fragend an; sie nickte heftig.
    Von diesem Augenblick an wurde er in seinen Fragen kühler. Das Gefühl einer entfernten Verwandtschaft mit Lord Samuel, der, wie ich ihm sagte, Mitglied britischer Regierungen gewesen war, befeuerte ihn. Ob es noch andere Israeliten in unserer Gesellschaft gäbe? Einen, sagte ich. Ob ich ihn nicht zu Besuch mitbringen möchte? Ich versprach es. Ob keine Amerikaner mit uns seien? Zum erstenmal sprach er das Wort ›Amerikaner aus; ich spürte, daß es sein goldenes Wort war und begriff, warum er anfangs über meine Herkunft aus England enttäuscht gewesen war. Ich erzählte von meinem amerikanischen Freund, der im selben Hotel wie wir wohne; doch mußte ich zugeben, daß er kein ›Israélite‹ war.
    Der ältere Bruder trat wieder ein; vielleicht fand er, daß ich schon zu lange dasaß. Er warf einen Blick auf seine Frau. Sie starrte mich noch immer an. Es kam mir vor, daß ich um ihretwillen geblieben war und die Hoffnung, mit ihr ins Gespräch zu kommen, nicht aufgegeben hatte. Ich sagte dem Jüngeren, er möge mich doch, wenn er Lust habe, in meinem Hotel aufsuchen und erhob mich von meinem Sessel. Ich verabschiedete mich von der jungen Frau. Die beiden Brüder geleiteten mich hinaus. Der Hochzeiter stellte sich vors Tor, ein wenig so, als ob er mir den Weg vertrete, und mir kam der Gedanke, daß er für meine Besichtigung des Hauses vielleicht Bezahlung erwarte. Ich mochte ihn aber auch nicht beleidigen, er gefiel mir noch immer gut, und so stand ich einen Augenblick in peinlichster Verlegenheit da. Meine Hand, die sich der Tasche genähert hatte, blieb auf halbem Wege stehen und ich ertappte sie dabei, wie sie sich kratzend stellte. Der Jüngere kam zu meiner Rettung und sagte etwas auf arabisch. Ich hörte das Wort ›Jehudi‹, Jude, das sich auf mich bezog, und wurde mit einem freundlichen, etwas enttäuschten Händedruck entlassen.
    Schon am nächsten Tage meldete sich Élie Dahan in meinem Hotel. Er fand mich nicht vor und kam wieder. Ich war viel unterwegs und er hatte kein Glück; vielleicht glaubte er auch, daß ich mich verleugnen ließ. Das dritte oder vierte Mal traf er mich endlich an. Ich lud ihn zu einem Kaffee ein und er begleitete mich zur Djema el Fna, wo wir uns auf eine der Kaffeehausterrassen setzten. Er war genauso angezogen wie am Tag zuvor. Erst sprach er kaum, aber selbst seiner ausdruckslosen Miene war zu entnehmen, daß er etwas auf dem Herzen hatte. Ein alter Mann näherte sich unserem Tisch, der gravierte Messingplatten zu verkaufen hatte; an seinem schwarzen Käppchen, an Kleidung und Bart war er leicht als Jude zu erkennen. Élie beugte sich geheimnisvoll zu mir herüber und als hätte er mir etwas ganz Besonderes anzuvertrauen, sagte er: »C'est un Israélite.« Ich nickte erfreut. Um uns saßen lauter Araber und ein oder zwei Europäer. Erst jetzt, seit das Einverständnis des Vortags zwischen uns wiederhergestellt war, fühlte er sich freier und rückte mit seinem Anliegen heraus.
    Ob ich ihm einen Brief an den Kommandanten des Lagers von Ben Guérir geben könnte. Er möchte gern bei den Amerikanern arbeiten.
    »Was für einen Brief?« fragte ich.
    »Sagen Sie dem Kommandanten, daß er mir eine Stelle geben soll.«
    »Aber ich kenne den Kommandanten gar nicht.«
    »Schreiben Sie ihm einen Brief«, wiederholte er, als hätte er nicht gehört, was ich sagte.
    »Ich kenne den Kommandanten nicht«, wiederholte ich.
    »Sagen Sie ihm, daß er mir eine Stelle geben soll.«
    »Aber ich weiß nicht einmal, wie er heißt. Wie kann ich ihm da schreiben?«
    »Ich werde Ihnen den Namen sagen.«
    »Was für eine Arbeit möchten Sie denn dort haben?«
    »Comme plongeur«, sagte er und ich glaubte mich zu entsinnen, daß das jemand bedeute, der Geschirr abwasche.
    »Waren Sie schon einmal dort?«
    »Ich habe bei den Amerikanern als ›plongeur‹ gearbeitet«, sagte er sehr stolz.
    »In Ben Guérir?«
    »Ja.«
    »Und warum sind Sie weg von dort?«
    »Ich bin entlassen worden«, sagte er, genauso stolz.
    »Ist das schon lange her?«
    »Vor einem Jahr.«
    »Warum melden Sie sich dann nicht wieder?«
    »Leute aus Marokko dürfen nicht ins Lager. Nur wenn sie dort arbeiten.«
    »Aber warum hat man Sie entlassen? - Sie wollten damals vielleicht selber weg?« fügte ich

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