Die Stimmen von Marrakesch
Weise ins Schloß zu gelangen. Vielleicht konnte ich Freundschaft mit der Tante schließen und so einiges über das Leben dort erfahren.
Auf dem Wege in die Berrima kamen wir auf den Glaoui zu sprechen, den Pascha von Marrakesch. Wenige Tage zuvor war in der Moschee des Quartiers ein Attentat auf den neuen Sultan von Marokko verübt worden. Der Gottesdienst war die einzige Gelegenheit für den Attentäter, in leibliche Nähe des Königs zu gelangen. Dieser neue Sultan war ein alter Mann. Er war der Onkel des früheren, den die Franzosen abgesetzt und aus Marokko verbannt hatten. Als Werkzeug der Franzosen wurde der Onkel-Sultan von der Freiheitspartei mit allen Mitteln bekämpft. Unter den Einheimischen im ganzen Land hatte er nur eine starke Stütze, das war El Glaoui, der Pascha von Marrakesch, den man schon seit zwei Generationen als den verläßlichsten Verbündeten der Franzosen kannte. Der Glaoui hatte den neuen Sultan in die Moschee begleitet und den Attentäter auf der Stelle niedergeschossen. Der Sultan selbst war nur leicht verletzt.
Knapp vor diesem Ereignis war ich mit einem Freund in jenem Teil der Stadt spazierengegangen. Wir waren durch Zufall vor diese Moschee geraten und hatten uns die Menschenmengen angesehen, die auf die Ankunft des Sultans warteten. Die Polizei war in größter Aufregung, da es schon eine Reihe von Anschlägen gegeben hatte, und traf ihre Anstalten ungeschickt und laut. Auch wir wurden unfreundlich weggewiesen, aber mit Wut und Geschrei ging man gegen die Einheimischen vor, als sie sich genau dort aufstellten, wo man es ihnen erlaubt hatte. Unter diesen Umständen verspürten wir wenig Lust, die Ankunft des Sultans abzuwarten und gingen wieder unserer Wege. Eine halbe Stunde später geschah das Attentat und die Nachricht davon verbreitete sich mit Windeseile durch die Stadt. - Nun ging ich mit meinem neuen Begleiter wieder durch dieselben Gassen wie damals; und das war es, was das Gespräch auf den Glaoui brachte.
»Der Pascha haßt die Araber«, sagte Élie. »Er liebt die Juden. Er ist der Freund der Juden. Er erlaubt nicht, daß den Juden etwas geschieht.«
Er sprach mehr und rascher als sonst, und es klang sehr merkwürdig, als hätte er es aus einem alten Geschichtsbuch auswendig gelernt. Die Mellah selbst hatte nicht so mittelalterlich auf mich gewirkt wie diese Worte über den Glaoui. Ich betrachtete verstohlen sein Gesicht, als er dieselben Worte wiederholte. »Die Araber sind seine Feinde. Er hat Juden bei sich. Er spricht mit Juden. Er ist der Freund der Juden.« Er zog den Titel ›Pascha‹, der die Würde bezeichnete, dem Familiennamen ›Glaoui‹ vor. Wann immer ich ›Glaoui‹ sagte, erwiderte er mit ›Pascha‹. Es klang in seinem Mund wie das Wort ›Kommandant‹, mit dem er mich vor kurzem zur Raserei getrieben hatte. Doch sein höchstes und hoffnungsvollstes Wort blieb nach wie vor, dem Glaoui zum Trotz, ›Amerikaner‹.
Wir waren indessen durch ein kleines Tor in ein Viertel geraten, das außerhalb der Stadtmauer lag. Die Häuser bestanden aus einem einzigen Geschoß und wirkten sehr ärmlich. Auf den kleinen, holprigen Gassen traf man kaum einen Menschen, hie und da sah man ein paar spielende Kinder. Ich fragte mich, wie wir hier zum Palast gelangen würden, als er vor einem der unscheinbarsten Häuser stehenblieb und sagte: »Hier ist meine Tante.«
»Wohnt sie nicht in der Berrima?«
»Das ist die Berrima«, sagte er, »das ganze Viertel heißt Berrima.«
»Und hier können Juden auch wohnen?« »Ja«, sagte er, »der Pascha hat es erlaubt.«
»Gibt es hier viele?«
»Nein, die meisten Leute hier sind Araber. Aber einige Juden wohnen auch hier. Wollen Sie nicht die Bekanntschaft meiner Tante machen? Meine Großmutter wohnt auch hier.«
Ich war sehr froh, wieder ein Haus von innen sehen zu können und pries mich glücklich, daß es ein so einfaches und unscheinbares Haus war. Ich war zufrieden mit dem Tausch; und hätte ich ihn gleich verstanden, ich hätte mich mehr darauf gefreut als auf einen Besuch im Palast des Sultans.
Er klopfte und wir warteten ein wenig. Eine junge, kräftige Frau erschien, mit offenen, freundlichen Zü- gen. Sie führte uns weiter, war aber ein wenig verlegen, da alle Zimmer eben ausgemalt wurden und sie uns nirgends so empfangen konnte, wie es sich gebührte. Wir standen im winzigen Hof, auf den drei kleine Zimmer gingen. Élies Großmutter war da, die gar nicht alt wirkte. Sie empfing uns lächelnd, aber es schien
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