Die Stimmen von Marrakesch
Hotel auf alle drei Briefe.«
Ich entließ ihn verärgert und dachte mir, wenn ich ihn nur nicht wiedersehen müßte.
Am nächsten Tage kam er mit einer besonders feierlichen Miene und fragte mich:
»Wollen Sie die Bekanntschaft meines Vaters machen?«
»Wo ist er denn?« fragte ich.
»Im Geschäft. Er hat mit meinem Onkel zusammen ein Geschäft. Zwei Minuten von hier.«
Ich willigte ein und wir gingen hin. Es lag an der modernen Straße, die von meinem Hotel zum Bab Agenaou führte. Ich war diesen Weg sehr oft gegangen, mehrmals am Tag, und hatte in die Läden zur Linken und zur Rechten manchen Blick getan. Unter den Inhabern dieser Läden gab es viele Juden, ihre Gesichter waren mir bereits vertraut. Ich fragte mich, ob einer von ihnen sein Vater sei, und ließ sie im Geiste Revue passieren. Welcher konnte es sein?
Aber ich hatte die Zahl und Mannigfaltigkeit dieser Läden unterschätzt, denn kaum war ich von der Straße her eingetreten, begann ich mich zu wundern, daß ich dieses sonderbare Geschäft überhaupt noch nie bemerkt hatte. Es war vollgeräumt mit Zucker in jeder Form, sei es als Zuckerhüte, sei es in Säcken. In jeder Höhe, auf allen Regalen ringsum war nichts als Zukker. Ich hatte noch nie ein Geschäft gesehen, in dem man nichts als Zucker verkaufte und fand diese Tatsache, Gott weiß warum, sehr belustigend. Der Vater war nicht da, wohl aber der Onkel und ich wurde mit ihm bekannt gemacht. Er war ein unangenehmes, schmächtiges Männlein mit verkniffenem Gesicht, dem ich nicht über den Weg getraut hätte. Er war europäisch gekleidet, aber sein Anzug sah schmutzig aus und man konnte erkennen, daß dieser Schmutz aus einer ungewöhnlichen Mischung von Straßenstaub und Zucker bestand.
Der Vater war nicht weit weg, man schickte nach ihm. Indessen wurde, wie es hier Sitte ist, Pfefferminz-Tee für mich gerichtet. Aber angesichts der überwältigenden Süßkraft des Lokals bereitete mir die Vorstellung, daß ich ihn trinken müsse, leichte Übelkeit. Élie erklärte auf arabisch, daß ich aus London sei. Ein Herr mit einem europäischen Straßenhut auf dem Kopf, den ich für einen Käufer gehalten hatte, trat zwei Schritte auf mich zu und sagte auf englisch: »Ich bin britisch.« Er war ein Jude aus Gibraltar und sprach sein Englisch gar nicht schlecht. Er erkundigte sich nach meinen Geschäften und da ich nichts zu sagen hatte, wiederholte ich die alte Geschichte über den Film.
Wir unterhielten uns ein wenig und ich sippte den Tee, da kam der Vater. Er war ein stattlicher Mann mit einem schönen, weißen Bart. Er trug Käppchen und Gewand nach Art der marokkanischen Juden. Er hatte einen großen, runden Kopf mit einer breiten Stirn, aber was mir am meisten auffiel, waren seine lachenden Augen. Élie stellte sich neben ihn und sagte mit einer beschwörenden Armbewegung:
»Je vous présente mon père.«
Er hatte noch nie etwas mit so viel Ernst und Überzeugung gesagt. ›Père‹ klang in seinem Mund geradezu erhaben und nie hätte ich gedacht, daß ein so dummer Mensch es zu solcher Erhabenheit bringen könne. ›Père‹, klang nach bedeutend mehr als ›Amerikaner‹ und ich war froh, daß vom Kommandanten nicht viel mehr übrig blieb.
Ich schüttelte die Hand des Mannes und blickte in sein lachendes Aug. Er fragte den Sohn auf arabisch nach meiner Herkunft und meinem Namen. Da er kein Wort Französisch sprach, stellte sich der Sohn zwischen uns beiden auf und wurde, ganz gegen seine Art beinahe eifrig, zu unserem Dolmetsch. Er erklärte, woher ich käme und daß ich ein Jude sei, er nannte meinen Namen. So wie er ihn sagte, mit seiner stumpfen, kaum artikulierenden Stimme, klang er nach nichts.
»E-li-as Ca-ne-ti?« wiederholte der Vater fragend und schwebend. Er sagte den Namen ein paarmal vor sich hin, wobei er die Silben deutlich voneinander abhob. In seinem Munde wurde der Name gewichtiger und schöner. Er sah mich dabei nicht an, sondern blickte vor sich hin, als wäre der Name wirklicher als ich, und als wäre er es wert, daß man ihn erkunde. Ich hörte erstaunt und betroffen zu. In seinem Singsang kam mir mein Name so vor, als gehöre er in eine besondere Sprache, die ich gar nicht kannte. Er wog ihn großherzig vier- oder fünfmal; mir war, als höre ich das Klingen von Gewichten. Ich fühlte keine Sorge, er war kein Richter. Ich wußte, er würde Sinn und Schwere meines Namens finden; und als es soweit war, blickte er auf und lachte mir wieder in die Augen. Er stand nun
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