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Die Stimmen von Marrakesch

Die Stimmen von Marrakesch

Titel: Die Stimmen von Marrakesch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elias Canetti
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ihn nicht stören und ging unbemerkt weiter.
    Vor dem Hotel blieb ich stehen, um mich von Élie zu verabschieden. Seine Freigebigkeit mit seinen Verwandten hatte ihm wieder Mut gemacht und er kam auf den Brief zu sprechen. »Ich bringe Ihnen den Namen des Kommandanten«, sagte er, »morgen.« »Ja, ja«, sagte ich, ging rasch hinein und freute mich auf morgen.
    Von nun an erschien er täglich. Wenn ich nicht da war, ging er um den Häuserblock herum und kam wieder. Wenn ich noch immer nicht da war, stellte er sich an der Straßenecke gegenüber dem Hoteleingang auf und wartete geduldig. An kühleren Tagen nahm er in der Halle des Hotels Platz. Aber er blieb da nie länger als ein paar Minuten sitzen. Er hatte Scheu vor dem arabischen Personal des Hotels, das ihn mit Geringschätzung behandelte, vielleicht erkannten sie ihn als Juden.
    Er kam mit dem Namen des Kommandanten. Aber er brachte auch alle Dokumente, die er je in seinem Leben besessen hatte. Er brachte sie nicht auf einmal. Jeden Tag kamen ein oder zwei neue dazu, auf die er sich in der Zwischenzeit besonnen hatte. Er schien der Meinung zu sein, daß ich die gewünschte Order an den Kommandanten von Ben Guérir sehr wohl verfassen könne, wenn ich nur wolle; und über ihre Wirkung, sobald sie einmal verfaßt wäre, hegte er nicht den leisesten Zweifel. Papiere hatten etwas Unwiderstehliches, sobald ein fremder Name darunter stand. Er brachte mir Zeugnisse über jede Stellung, in der er gewesen war; er hatte wirklich für kurze Zeit als ›plongeur‹ bei den Amerikanern gearbeitet. Er brachte mir Zeugnisse seines jüngeren Bruders Simon. Er kam nie, ohne ein Papier aus der Tasche zu ziehen und mir vor die Augen zu halten. Er pflegte die Wirkung der Lektüre ein wenig abzuwarten und schlug dann Änderungen in dem Text des Briefes vor, den ich dem Kommandanten schreiben sollte.
    Ich hatte inzwischen die ganze Affäre mit meinem amerikanischen Freunde auf das genaueste besprochen. Er machte sich erbötig, Ehe Dahan an seine Landsleute zu empfehlen, doch erhoffte er sich für den jungen Mann nichts davon. Er kannte weder den Kommandanten noch sonst einen Menschen, der auf das VerGeben von Stellen Einfluß hatte. Aber wir wollten beide Ehe die Hoffnung nicht rauben und so wurde der Brief geschrieben.
    Ich war erleichtert, als ich ihn mit dieser Nachricht empfangen und zur Abwechslung selber in die Tasche langen und ein Papier hervorziehen konnte.
    »Lesen Sie!« sagte er mißtrauisch und etwas schroff. Ich las den englischen Text von Anfang zu Ende vor, und obwohl ich wußte, daß er kein Wort davon verstand, las ich so langsam wie möglich.
    »Übersetzen Sie!« sagte er und verzog keine Miene. Ich übersetzte und gab meinen französischen Worten eine nachdrückliche und feierliche Note. Ich händigte ihm den Brief ein. Er suchte nach etwas und prüfte dann die Unterschrift. Die Tinte war nicht sehr dunkel und er schüttelte den Kopf.
    »Das kann der Kommandant nicht lesen«, sagte er und gab mir den Brief zurück. Ohne die leiseste Scheu fügte er hinzu: »Schreiben Sie mir drei Briefe. Wenn der Kommandant den Brief nicht zurückgibt, schicke ich den zweiten an ein anderes Lager.«
    »Wozu brauchen Sie den dritten Brief?« fragte ich, um meine Verblüffung über seine Frechheit zu verbergen.
    »Für mich«, sagte er stolz.
    Ich begriff, daß er ihn seiner Dokumentensammlung einverleiben wollte, und der Gedanke, daß dieser dritte Brief für ihn der wichtigste war, schien unabweisbar.
    »Schreiben Sie
Ihre
Adresse«, fügte er hinzu. Das Hotel war nirgends erwähnt, danach also hatte er gesucht. »Das hat aber keinen Sinn«, sagte ich. »Wir fahren bald weg. Wenn man den Brief beantworten sollte, braucht man Ihre Adresse!«
    »Schreiben Sie Ihre Adresse!« antwortete er unerschüttert, mein Einwand machte ihm nicht den geringsten Eindruck.
    »Das können wir trotzdem tun«, sagte ich. »Aber Ihre Adresse muß eben auch drauf stehen, sonst ist das Ganze sinnlos.«
    »Nein«, sagte er, »schreiben Sie das Hotel!«
    »Aber was wird geschehen, wenn man Ihnen wirklich die Stelle geben möchte? Wie wird man Sie finden? Wir fahren nächste Woche weg und so rasch kommt die Antwort bestimmt nicht.«
    »Schreiben Sie das Hotel!«
    »Ich werde es meinem Freund sagen. Hoffentlich ärgert er sich nicht, daß er den Brief nochmals schreiben muß.« Ich konnte es mir nicht versagen, ihn für seinen Eigensinn zu strafen.
    »Drei Briefe«, war seine Antwort. »Schreiben Sie das

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