Die Strafe des Seth
Staub.
»Majestät«, japste er, ohne auf Ramses’ Aufforderung zum Sprechen zu warten, »ich bringe beunruhigende Neuigkeiten von der Küste des Großen Grün.« Er atmete schwer. »Es nähern sich weitere Schiffe, die direkt auf den westlichen Arm des Deltas zuhalten. Einundachtzig an der Zahl. «
Die Nachricht schlug bei denen, die sie vernommen hatten, wie ein Blitz des Großen Gottes Seth ein.
»Was sagst du da?«, rief Ramses entsetzt. »Weitere einundachtzig Schiffe?«
Der Mann, ein libyscher Späher in Ramses’ Diensten, nickte, denn zum Sprechen fehlte ihm die Kraft. Erst nachdem er seine vertrocknete Kehle mit einem Krug Bier angefeuchtet hatte, den ihm ein Diener auf Befehl des Pharaos reichte, antwortete er: »Ja, Majestät. Ich bin so schnell gekommen, wie meine Pferde es zuließen. Und glaube mir, o Mächtiger Horus, ich habe etliche zuschanden geritten. Es halten weitere einundachtzig Schiffe direkt auf das westliche Delta zu.«
»Wie weit sind sie noch entfernt?«
»Als ich vor knapp einer Woche aufgebrochen bin, befanden sie sich gut zwanzig Tagereisen von der westlichen Einfahrt entfernt. Sie segeln an der Küste entlang und scheinen zu wollen, dass man sie sieht. Es hat uns keine Mühe gekostet, sie zu zählen.«
»Sie wollen, dass man sie sieht«, murmelte der Pharao bestürzt und gab dem Mann ein Zeichen, dass er sich vorerst zurückziehen durfte. Dann stieg er von seinem Wagen und befahl, umgehend ein provisorisches Lager zu errichten. Die Soldaten sollten sich etwas ausruhen, während er mit seinen Beratern die neue Lage besprechen wollte.
* * *
»Sie hoffen darauf, dass wir unsere Kräfte teilen, auf dass unsere Kampfkraft sinkt«, stellte Sobek fest und erntete zustimmendes Nicken. »Mit den elftausend Kriegern, die uns entgegenziehen, wären wir leicht fertig geworden, doch wenn wir uns nun teilen, könnten sie im Vorteil sein.«
»Das denke ich ebenfalls«, stimmte Ramses’ Halbbruder Chaemwaset dem Befehlshaber der Re-Division zu.
»Die Schiffsverbände sollten augenblicklich ihre Position wechseln und den Schiffen gen Westen entgegensegeln«, warf Irinefer ein, der die Division des Seth anführte.
»Und wenn nun der den Tross begleitende Schiffsverband die Segel setzt und auf das Delta zuhält?«, widersprach Chaemwaset. »Dann haben wir womöglich den Angriff auf den westlichen Deltaarm vereitelt, doch in der Zwischenzeit fallen die anderen zweihundertfünfzig Schiffe von Osten munter über das Untere Königreich her.«
»Trotzdem, Hoheit«, beharrte Irinefer, »einfach nur in den Nebenarmen abwarten, dass der östliche Schiffsverband das Delta erreicht, bringt genauso wenig. Vielleicht haben wir Glück und sie bleiben auf Höhe ihrer Familien, um sie bei einem Angriff beschützen zu können.«
»Das bezweifle ich«, mischte sich wieder Sobek in das Wortgefecht der beiden Männer ein. »Wie sollten sie ihre Frauen und Kinder beschützen? Diese ziehen zwar an der Küste entlang, doch irgendwann müssen auch sie sich etwas weiter in das Landesinnere bewegen, wo die Krieger auf ihren Schiffen sie aus dem Blickfeld verlieren. Prinz Chaemwaset hat völlig recht. Auch ich befürchte, dass wir sie über kurz oder lang mit eigenen Augen an uns vorbeifahren sehen. – Und sie werden es tun, um das Delta vom östlichen Zufahrtsweg her anzugreifen.«
»Du magst recht haben, Sobek, was die Götter verhindern mögen«, ereiferte sich Irinefer, »sollen wir uns aber vom Westen her überfallen, brandschatzen und plündern lassen?«
Resigniert zuckte der Befehlshaber der Division Re mit den Schultern.
Ramses hatte die ganze Zeit schweigend seinen Beratern gelauscht. Sein Blick glitt zu Hori. Sein Sohn stand neben Meritusir, die zum großen Erstaunen der Generäle zu dieser Beratung neben Amunhotep hinzugezogen worden war.
»Was hast du für eine Meinung, Hori?«
Der Thronfolger schluckte. Es war das erste Mal, dass ihn sein Vater mit auf einen Feldzug nahm. Zum Glück hatte es davon bisher nur einen zu Beginn von Ramses’ Regentschaft gegeben. Damals war Hori aber noch ein Knabe gewesen und bei seiner Mutter in Per-Ramses geblieben.
Nachdenklich strich er sich mit der rechten Hand über den Kopf, während die linke nervös mit dem Amulett des Großen Gottes Horus spielte.
»Auch ich fürchte, Majestät«, hob er zaghaft an, denn er war zwar ein gebildeter junger Mann, doch mit taktischer Kriegführung bisher nur theoretisch vertraut, »dass die Möglichkeit in Betracht
Weitere Kostenlose Bücher