Die Strafe des Seth
gezogen werden sollte, dass der Feind unsere Kräfte zersprengen will, indem er uns von drei Seiten zugleich angreift. Doch wenn du mich fragst, ob der im östlichen Delta stationierte Schiffsverband seine Stellung aufgeben soll oder nicht, so bin auch ich mir darüber nicht schlüssig. Zu viel steht auf dem Spiel. Verlagerst du deine Schlagkraft nach Westen, fällt der Feind durch den östlichen Flusslauf ein. Verharrst du dort, tun sie es eben im Westen.« Abbittend sah er zu seinem Vater, weil auch ihm, dem zukünftigen Herrscher, keine Lösung einfallen wollte und ihm klar war, dass Ramses bereits eine Entscheidung gefällt hatte.
»Meritusir!«, tönte die Stimme des Königs.
Die Priesterin stand kerzengerade und bemerkte mit einem unguten Gefühl in der Magengegend die fragenden Blicke der militärischen Berater auf sich ruhen. Es war ihr bewusst, dass es für diese unbegreiflich war, warum Ramses eine Frau zu einem solch wichtigen Gespräch hinzugeladen hatte und nun auch noch ihre Meinung hören wollte.
»Ich denke ebenfalls, dass der Feind dich schwächen will, indem er dein Heer zu teilen versucht.« Sie schluckte und sah kurz zu Ramses, der sie erwartungsvoll anblickte. »Doch meiner Meinung nach – ich bin aber kein erfahrener Kriegsherr –«, fügte sie sofort entschuldigend hinzu, »solltest du den Großteil der Schiffsverbände nach Westen verlagern, damit sie sich dort dem Kampf mit den Feinden Kemis stellen können. Einundachtzig Schiffe dürften für deine Bootsmannschaften kein allzu großes Problem darstellen. Die verbleibenden Schiffe sollen in der Zwischenzeit für den Ernstfall den östlichen Zufahrtsweg sichern. Sie haben an ihrer Seite zweitausend Krieger, die unter dem Befehl deines Bruders stehen. Schicke ihnen weitere Soldaten aus deinem Heer, und sie werden jeden Feind besiegen, der es wagt, in die Beiden Länder einzufallen. Deine Männer sind hervorragend ausgebildet, Majestät. Zudem wissen sie, wofür sie kämpfen. An ihrer Seite stehen nicht nur die tausend Götter Kemis, sondern sie haben auch den Willen, ihre Heimat und ihre Familien vor den Fremdländern zu beschützen, die sie knechten oder töten werden. Und das wird sie stärker machen als alle Krieger von den Inseln des Großen Grün, die nur ihre Gier antreibt. Von dem gleichen Ansporn beflügelt, werden auch deine restlichen Einheiten kämpfen, die hier den Fußtruppen entgegentreten.«
Ramses schmunzelte verstohlen vor sich hin. Meritusir hatte ihre Scheu überwunden und redete wieder einmal munter drauf los, während seine Generäle und selbst Hori ihr mit offenen Mündern staunend lauschten. Nur Amunhotep teilte seinen leicht amüsierten Gesichtsausdruck.
Es war noch eine ganze Weile still, bis Ramses endlich zu sprechen anhob. »Ich bin derselben Meinung wie die Zweite Prophetin des Osiris. Meritusir hat recht. Wenn wir die Truppenverbände mit Verstand teilen und die Gunst der Götter erflehen, werden wir die Feinde Kemis besiegen.« Er sah seine Generäle entschlossen an. »Es sollen sofort Boten zu den Schiffsverbänden gesandt werden mit dem Befehl, einhundert Boote umgehend nach Westen zu verlagern. Der Rest bleibt zusammen mit Prehis Truppen in den östlichen Seitenarmen verborgen, bis der Feind auftaucht. Weiterhin sollen die Nomarchen des Deltas wehrfähige Männer ausheben, die den Bootsmannschaften zu Lande zur Seite stehen. – Hori, du begibst dich umgehend mit den verbliebenen Einheiten der Ptah-Division, die fremdländischen Söldner ausgenommen, zu meinem Bruder ins Delta und wirst dort seinem Oberbefehl unterstehen.« Er strich sich nachdenklich über das Kinn. »Somit hätten wir ausreichend Soldaten zu Land und zu Wasser. – Ich bete zu Amun, dass es klappt. – Wenn wir dem Feind an einer engen Stelle auflauern, können die Landtruppen etwas ausrichten, wenn nicht ...« Er beendete nicht seinen Satz, doch alle wussten, was geschehen würde. »Trotzdem, wir müssen es versuchen. Im östlichen Arm zu verweilen wäre genauso töricht, und vielleicht haben wir das Glück auf unserer Seite und die Schiffsverbände bleiben auf Höhe des an Land befindlichen Trosses.«
Ramses erhob sich. Die Besprechung war beendet.
Seine militärischen Berater verneigten sich und zogen sich zurück, um seine Befehle auszuführen.
»Ich kann nicht glauben, dass es das schon gewesen sein soll, was der Große Gott Osiris von mir gewollt hat«, flüsterte Meritusir Amunhotep zu, als beide durch den Zelteingang
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