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Die Strafe des Seth

Die Strafe des Seth

Titel: Die Strafe des Seth Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anke Dietrich
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Schwester zur Frau genommen. Ihm stand genau wie Sethi die Herrschaft zu. Doch sein Onkel hatte in Horis Abwesenheit über die beiden Länder gewacht, die ohnehin durch die Missernten der letzten Jahre geschwächt waren. Hatte er, Chaemwaset, das Recht, Kemi durch einen zermürbenden Kampf um den Doppelthron noch näher an das Chaos heranzuführen?
    »Nein!«, murmelte er kaum hörbar vor sich hin. Bereits auf der Fahrt nach Abydos hatte er für sich entschieden, das nicht zu tun.
    Amunhotep und Meritusir flankierten den Sarg zusammen mit dem obersten Ka-Priester und dem Verwalter des Totentempels.
    Meritusir konnte ihre Tränen nicht zurückhalten, als Amunhotep ihr einen knappen Blick zuwarf. Dabei versuchte er, ihr aufmunternd zuzulächeln, doch es wollte ihm nicht gelingen. Dort auf dem Schlitten lag die kalte steife Hülle seines Freundes, des Pharaos, den er geliebt und verehrt hatte. Er wandte den Blick wieder nach vorn und dachte wehmütig an Ramses zurück.
    Ihm fiel das Trinkgelage anlässlich der Geburt von Ramses’ erstem Sohn ein und der letzte Abend, den er zusammen mit ihm verbracht hatte. Er musste an die Expedition in die nubische Wüste denken und an ihre Suche nach geheimen Zauberformeln in der Halle des Thot, die Ramses’ Mumie und sein Grab vor Schändung bewahren sollten. Er sah Ramses an seinem edlen Schreibtisch sitzen, während dessen Augen ihn und Meritusir finster gemustert hatten, weil die Zeichnung seiner Sarkophagkammer kurz vor dem Fest von Opet in Theben aufgetaucht war. Er erinnerte sich an Ramses’ Krönungstag, als dieser nach seiner Thronbesteigung mit der Doppelkrone auf dem Kopf aus dem Tempel von Opet-sut getreten war, um sich seinem Volk zu zeigen. Er konnte aber auch nicht die Erinnerung verdrängen, als der erstgeborene Sohn seines Freundes von den Krokodilen zerfleischt worden war. Dennoch hatte dieses schlimme Ereignis auch etwas Positives gebracht: Ramses hatte ihm an jenem Tag vor acht Jahren eine leibeigene Dienerin anvertraut, die nun seine Gemahlin war.
    »Ja, mein König, Majestät«, formten seine Lippen, »du warst der Herr der Beiden Länder und ich nur dein Diener. Doch auch wenn du der lebende Gott gewesen bist und ich nur ein Sterblicher, so hast du mich doch deinen Einzigen Freund genannt.« Die Tränen traten ihm in die Augen, und verstohlen fuhr er sich mit der Hand übers Gesicht.
    Sie hatten den Tempel der Millionen Jahre erreicht.
    Im Vorhof wurde der Sarg des Königs aufgerichtet und der Deckel abgenommen, damit die heiligen Rituale an Ramses’ Mumie durchgeführt werden konnten.
    Amunhoteps Blick glitt hoch zu den Gesichtern der beiden Granitstatuen des zu Osiris gewordenen Pharaos, und er lächelte ihnen zu. Dann trat er zu Sethherchepeschef, um ihm den heiligen Dechsel zu reichen, mit dem der Prinz Nase, Augen, Ohren und Mund der Mumie berühren und somit öffnen würde.
    Nachdem der mumifizierte Leichnam mit Weihrauch beräuchert worden war, setzten sich alle im Vorhof nieder, um das Festmahl zu genießen, zu dem nur die engsten Familienmitglieder sowie die obere Priesterschaft des Osiris und die anwesenden Propheten der anderen Götter zugelassen waren. Der Rest des Trauergefolges hatte am Rande der Wüste zurückbleiben müssen.
    Als sich der Horizont glutrot färbte, wurde der Sarg verschlossen und in das Innere des Tempels getragen.
    Ramses hatte nach der Weihung seines Heiligtums verfügt, dass ihn auf diesem letzten Weg nur seine Große Königliche Gemahlin Isis, seine Mutter sowie der Thronfolger und die beiden obersten Propheten des Osiris begleiten durften. Dass sein Onkel Sethherchepeschef dabei sein würde, hätte er sich sicher nie träumen lassen.
    Neugierig blickte sich Sethi im Tempel um. Er war ziemlich beeindruckt von dem, was er sah. Als sie durch den linken Zugang vom Säulensaal in die Halle des Osiris traten, nahm sein Gesicht jedoch einen verwunderten Ausdruck an.
    War das Heiligtum in den vorderen Bereichen wunderschön und erhaben, so sah es in diesem Teil wie auf einer Baustelle aus. Zwar waren die Wände und Säulen kunstfertig mit heiligen Zeichen und Darstellungen verziert, das Dach aber war noch offen, und im Fußboden klaffte ein tiefes Loch.
    Verständnislos sah Sethi zu Amunhotep, der sich ein Grinsen verkneifen musste.
    Bedächtig schritt die kleine Prozession auf dieses Loch im Boden zu und stieg hinab in das Haus der Ewigkeit. Überall entlang der Gänge waren Öllampen aufgestellt, die die Dunkelheit erhellten

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