Die Strafe des Seth
versammelten Priester und blieb an Meritusir hängen, die mit gesenktem Kopf unweit ihres Gemahls stand.
Als er sie nach gut zwei Jahren wiedersah, konnte er kaum die Augen von ihr lassen. Meritusir war noch schöner geworden, obwohl auch sie die Dreißig bereits überschritten hatte. Sie trug das vorgeschriebene weiße Leinengewand der Priester und hatte ein Leopardenfell als Zeichen ihrer hohen Priesterwürde über die Schulter gelegt. Ihre Haut schimmerte seidig weich. Am liebsten wäre Sethi auf sie zugetreten und hätte sie gestreichelt, doch er bezwang diesen Wunsch. Stattdessen riss er den Blick von ihr und setzte seinen Weg zum Tempel fort, um Amunhotep nicht argwöhnisch zu machen, der knapp hinter ihm ging.
»Ist alles für Pharaos Beisetzung bereit?«, wandte er sich herrisch an ihn, und der Hohepriester bejahte. »Dann werde ich morgen Ramses in sein Ewiges Haus bringen.« Ohne Amunhotep eines Blickes zu würdigen, schritt Sethherchepeschef weiter in Richtung Tempel. »Ist der Nomarch des thebanischen Gaus schon eingetroffen?«
»Nein, Hoheit. Prinz Chaemwaset wird noch erwartet.«
»Schade, doch egal, ob er rechtzeitig erscheint oder nicht. Morgen wird Ramses beigesetzt.«
»Wie du befiehlst, Hoheit.«
»
Majestät
, Priester, denn ich war es, der in Horis Abwesenheit die Regentschaft ausgeübt hat. Nun ist auch er auf tragische Weise zu den Göttern gegangen. Also bin ich der rechtmäßige Regent!« Sethi war stehen geblieben und hatte sich zu Amunhotep umgedreht. »Oder hast du etwas dagegen einzuwenden?« Kalt funkelten seine Augen Amunhotep an, während er ihm die Worte förmlich ins Gesicht spie.
»Nein, Majestät. Du bist der Herr und ich dein gehorsamer Diener.«
Sethi grinste. »Gut für dich, Amunhotep, dass du das begriffen hast.«
Er wandte sich wieder um und war kurz darauf im Palastbereich verschwunden, der dem Osiris-Tempel angegliedert war.
Wütend blickte Amunhotep ihm hinterher. Dann trat er auf Meritusir zu, die den beiden Männern zusammen mit den anderen der Priesterschaft in gebührendem Abstand gefolgt war.
»Du hast recht behalten, Meritusir. Sethi wird die Mundöffnung an Ramses’ Mumie vornehmen und sich damit für den Doppelthron legitimieren.« Beunruhigt sah er seiner Gemahlin in die grünen Augen.
»Das ist das Ende der Maat«, hauchte sie. »Erst Ramses und nun auch noch Hori. Warum strafen die Götter die Beiden Länder nur so hart?«
»Sie werden dafür ihre Gründe haben, die uns Sterblichen verborgen bleiben.«
Meritusir nickte wortlos. Gemeinsam mit ihrem Mann begab sie sich an ihre täglichen Pflichten im Tempel zurück.
Sethherchepeschef hingegen ließ sich den Rest des Tages nicht mehr blicken. Der Prinz betete, dass Chaemwaset es nicht mehr schaffen würde, rechtzeitig in Abydos zu erscheinen. Der Halbbruder von Ramses VII. war der Einzige, der ihm noch die Doppelkrone streitig machen konnte, denn Amuni war nach dem tragischen Tod des Regenten mit der Leiche seines Cousins nach Per-Ramses gefahren, um sie den dortigen Einbalsamierern zu übergeben. Blieb also nur noch Chaemwaset, der auf sein Recht pochen konnte, die Mundöffnung an Ramses vorzunehmen.
* * *
In den Strahlen der himmelwärts steigenden Sonnenbarke formierte sich der Trauerzug vor dem westlichen Pylon des Osiris-Tempels, um dem zu den Göttern gegangenen Pharao das letzte Geleit zu geben.
Sethi hatte sich ein Leopardenfell über die Schulter gelegt und stolzierte dem von Ochsen gezogenen Schlitten mit der Mumie des Königs voraus. Er zeigte damit allen Anwesenden, dass er der zukünftige Herrscher über das Schwarze und das Rote Land sein würde. Chaemwasets Barke hatte zwar im Morgengrauen am Tempelanleger von Abydos festgemacht, doch der Nomarch des thebanischen Gaus hatte nichts unternommen, um ihn am Ritual der Mundöffnung zu hindern. Sethi frohlockte innerlich.
Isis und Nubchesbed schritten gefolgt vom Rest der königlichen Familie hinter dem Sarg. Nubchesbed konnte man ihren Zorn ansehen, der neben ihrem Schmerz über den Verlust ihres Sohnes und ihrer beiden Enkel die Oberhand gewonnen hatte. Erbost starrte sie auf Sethherchepeschefs Rücken und drehte sich anschließend zu Chaemwaset um, um ihm einen fragenden und zugleich wütenden Blick zuzuwerfen.
Der Prinz ignorierte ihn.
Es wusste, was Nubchesbed von ihm erwartet hatte, und er fragte sich, ob er richtig daran tat, sein Anrecht auf den Doppelthron nicht zu fordern. Er war Ramses’ Halbbruder und hatte dessen
Weitere Kostenlose Bücher