Die Strafe des Seth
Herrin?«, fragte er. Seine Augen bohrten sich in den Körper des Hohepriesters.
»Sie kommt nicht mehr zurück. Sie wurde ...« Amunhotep fuhr sich mit der Hand übers Gesicht und sah den nubischen Leibwächter mit versteinerter Miene an. »Sie wurde von einem Löwen angefallen und in die Wüste verschleppt. Ich konnte ihr nicht mehr helfen. Und jetzt geh mir aus dem Weg!«
Verstört wich Maiherperi zur Seite.
Amunhotep ging an ihm vorbei und verschwand im Eingang zu seiner Kabine.
Ungläubig sah Maiherperi ihm hinterher. »Wir müssen sie suchen und ihren Körper nach Kemi bringen, damit er mumifiziert werden kann!«, rief er, aber Amunhotep gab keine Antwort.
Es war unter den Ruderknechten und Soldaten laut geworden, sodass sich Hekaib vor die Männer stellte, um sie zum Gehorsam zu gemahnen. Er hatte zwar keine Ahnung, was wirklich vorgefallen war. Es war ihm auch nicht bekannt, dass seine Herrin eine Auserwählte der Götter war. Er konnte jedoch nicht glauben, dass der Hohepriester irgendetwas unversucht lassen würde, wenn er sie hätte retten können. Nie hätte er es zugelassen, dass ihr Leib nicht die vorgeschriebenen Riten erfuhr.
»Ihr habt gehört, was der Gebieter befohlen hat«, fuhr er die Ruderknechte wütend an. »Also tut, was er sagt! Ergreift eure Ruder und bringt die Boote hinaus auf den Fluss! Und ihr«, wandte er sich den Soldaten zu, »gebt ebenfalls Ruhe. Wir kehren nach Kemi zurück.«
Sein Blick und der Tonfall seiner Stimme ließen die Männer verstummen. Gehorsam nahmen sie ihre Plätze ein und begannen, die Barken in die Strömung des Nil zu manövrieren.
* * *
Meritusir schritt geradewegs auf eine Stelle in der Unendlichkeit der Landschaft zu, die ihr als die richtige in Erinnerung geblieben war. Seltsamerweise überkamen sie dabei keine wehmütigen Erinnerungen; vielmehr musste sie an ihre Zukunft denken.
Würde sie wieder dreiundzwanzig Jahre alt sein oder wäre sie bereits zweiunddreißig? Sie wusste es nicht, doch es war ihr einerlei. Sie würde so oder so in ihrem Beruf ein Neuling sein, obwohl sie bereits einen Tempel und das Westliche Haus eines Pharaos geplant und erbaut hatte. Zudem war sie vermählt und Mutter.
Ein amüsiertes Grinsen zeigte sich bei diesem Gedanken auf ihrem Gesicht.
Kurz darauf hatte sie den auserwählten Ort erreicht und fiel auf die Knie. Ihre freudige Stimmung war schlagartig verflogen und hatte Platz für ein wehmütiges, schmerzliches Gefühl gemacht.
Sie drückte die Stirn auf den harten felsigen Boden und dankte dem Großen Gott Osiris, dass sie das alles hatte erleben dürften. Sie flehte ihn an, gleich nach ihrer Rückkehr in ihrer Zeit sterben zu dürfen, damit sie sich in seinem Totenreich mit ihrem Mann und ihrem Sohn wiedervereinen könne. Beide wären dann bereits seit mehr als dreitausend Jahren tot und würden dort auf sie warten.
Die Tränen traten ihr in die Augen, und sie blinzelte, um wieder klar sehen zu können.
Der Wind strich warm über ihren nackten Körper und streichelte sanft ihren kahl geschorenen Kopf. Re fuhr wie jeden Tag hoch oben am Himmel in seiner Barke dahin und sah auf sie und die Menschen hinab. Schon bald würde Osiris Ramses an seiner Seite sein. Es war nur eine Frage der Zeit.
Meritusir betete, dass die Götter nicht zu lange zögern würden, um den Fährmann zur Erde zu senden, der ihn zu seinem göttlichen Vater bringen sollte. Verzweifelt bat sie ein letztes Mal um die Gnade, ihr Leben hier in dieser Zeit und unter diesen Menschen verbringen zu dürfen.
Sie spürte, dass der Augenblick ihrer Rückkehr gekommen war.
Es war nicht ihr Wunsch, zu gehen, sondern der der Götter, und dem Wunsch der Götter konnte und durfte sich kein sterbliches Wesen widersetzen. Meritusir wusste das und nahm ihr Schicksal ergeben an.
Ein letztes Mal hob sie ihren Oberkörper und ließ den Blick über die staubige Einöde der felsigen Wüstenlandschaft gleiten. Sie vernahm das Rauschen des Nil und glaubte, seinen Geruch und den Geschmack seines Wassers in Nase und Mund zu spüren. Dann umfasste sie mit beiden Händen die goldene Osirisfigur und führte sie an die Lippen, um sie zu küssen. Anschließend hob sie den Blick zum Großen Gott Re. Sie streckte ihm anbetungsvoll die Arme entgegen und schloss die Augen, um nicht von seiner strahlenden Schönheit geblendet zu sein.
* * *
Am Vormittag des darauffolgenden Tages kamen die vom Pharao ausgesandten Schiffe denen des Hohepriesters
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