Die Strafe - The Memory Collector
Risse oder Kratzer.«
Die Luft hing klamm an ihr. Sie kämpfte gegen einen Schauer an.
Shepards Gesichtsausdruck entspannte sich. »Dann ist bestimmt alles in Ordnung.«
Der Schauer ließ nach, und eine Sekunde lang empfand sie die Kälte als erfrischend. Sie schloss die Augen und atmete langsam aus. Am liebsten hätte sie laut gelacht.
»Danke.« Sie konnte ein Lächeln der Erleichterung nicht unterdrücken. Erst jetzt konnte sie wieder Luft holen. »Kann sich Slick noch auf andere Weise verbreiten?«
»Durch Einatmen nach einer Explosion. Aber bei einer Explosion würde es sowieso durch die entsprechenden Verletzungen eindringen.«
»Das Einatmen ist eine Gefahr für Feuerwehr- und Rettungskräfte.« Sie wurde von einer grausigen Vision gestreift. Eine ganze Straße voller Menschen, deren Gedanken geerntet wurden, noch ehe sie zu Erinnerungen geronnen waren.
»Sollte es wirklich so weit kommen, wäre es besser, wenn Slick in einem Büro oder einem Wagen in die Luft fliegt«, stellte Shepard fest.
»Wie viel davon ist nötig für eine Explosion?«
»Fünfzig Gramm sind mehr als ausreichend.«
Ihr Atem dampfte in der Nacht. »Wir müssen davon ausgehen, dass Ian es auf seinem Afrikatrip beschafft hat. Und dass er jetzt hinter Ihnen her ist, weil er es nicht mehr hat.«
»Ja, er muss es verloren haben.«
»Verloren? Oder hat er nur vergessen, wo es ist?«
Er wandte sich zu ihr. »Verdammt. Aber wo hätte er es deponiert?«
»Wie würde man es transportieren?«
»Slick wird wie gesagt in einer Ölemulsion verteilt. Also wahrscheinlich in einer Flüssigkeit.«
»Angenommen, er hat es aus Afrika mitgebracht. Hätte er es in seinem Gepäck verstaut?«
»Er hätte es nicht aus den Augen gelassen. Nicht aus seiner Reichweite. Nie.«
»Aber wo kann er es versteckt haben?« Sie überlegte, an welchen Orten er sich aufgehalten hatte. Südafrika, London, die 747, der Flughafen, der Rettungswagen, das Krankenhaus. San Francisco.
»Wenn er es beim Einchecken in London bei sich hatte, hat er es also am Körper getragen oder in seinem Handgepäck«, resümierte sie.
»Zweifellos. Wenn … ach, Ian …«
»Alec?«
»Er weiß nichts über den korrekten Umgang mit Slick. Er versteht was von Menschen, aber nicht von Nanopartikeln. Verdammt.«
Jo spürte einen kalten Luftzug. Natürlich war Kanan nicht korrekt mit Slick umgegangen. Das lag auf der Hand. »Wenn meine Vermutung stimmt und Ihr Mitarbeiter Lesniak die Probe aus dem Labor in Südafrika gestohlen hat - wusste er denn, wie man mit Slick umzugehen hat?«
»Ja. Er ist Werkstofftechniker. Er hat mit dem Zeug gearbeitet.« Shepard steckte die Hände in die Hosentaschen. »Aber das heißt nicht, dass er es tatsächlich korrekt gehandhabt hat. Wer weiß, wie er es aus dem Labor geschmuggelt und transportiert hat?«
»Wovor haben Sie Angst?«
»Wenn Ian Slick im Flugzeug dabeihatte …«
»Die Polizisten und Sanitäter haben seine Kleidung durchsucht. Sie haben aber nur sein Handy gefunden.« Sie überlegte angestrengt. »In seinem Rucksack war ein Notebook, da bin ich sicher. Aber die Cops sagten, dass sie weder Alkohol noch Drogen gefunden haben. Ich selbst hatte keine Gelegenheit, seine Sachen durchzusehen.«
Shepards Stimme wurde schwerelos, als ginge ihm der Atem zum Sprechen aus. »Slick befindet sich in einer flüssigen Suspension. Bei den aktuellen Sicherheitsvorkehrungen kann Ian unmöglich einen größeren Behälter mit Flüssigkeit mit ins Flugzeug genommen haben. Das heißt, er hat es getarnt.« Wieder rieb er sich hektisch über die Stirn. »Wenn er es in ein Plastikgefäß gefüllt hat … Slick kann es zersetzen. Durch den Deckel dringen. Heraussickern.«
»Und?« Sie hatte ein Gefühl, als stünde ihr das Wasser bis zum Hals. »Slick destabilisiert gewöhnliches Plastik?«
»Ja. Und wenn Slick in Berührung mit Sauerstoff kommt, dann wird das Plastik unbeständig. Unter ungünstigen Umständen bringt es selbst die harmlosesten Stoffe dazu, zu explodieren.«
»Sein Rucksack ist wahrscheinlich noch im Krankenhaus. Ich rufe an.«
In der Ferne erschienen jetzt zwei Scheinwerfer, die auf sie zukrochen. Jo und Shepard wichen hinter einen der wuchtigen Torpfosten zurück. Die Lichter folgten der gewundenen Straße. Sie hörten einen leisen Motor und das Summen von Reifen auf Asphalt. Allmählich verloren die Scheinwerfer alles Weiche und wurden messerscharf.
Durch den Nebel konnte Jo ein Fahrzeug mit hohem
Schwerpunkt erkennen, das am
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