Die Strafe - The Memory Collector
Vance bretterte den Palm Drive hinab. In der Gegenrichtung schoss ein Streifenwagen vorbei. Weiter vorn spiegelte sich Blaulicht in den Baumwipfeln. Ein Stoppschild wischte vorbei, kurz darauf gefolgt von wütendem Hupen. Mit quietschenden Reifen bog Vance in den Campus Drive und steuerte auf das Footballstadion zu, auf der Suche nach einem Fluchtweg.
Jo klammerte sich an den Türgriff. »Ohne mich schafft ihr das nie. Entweder ihr liefert mich, Misty und Seth lebendig und gesund ab, oder ihr könnt Slick vergessen. Ich bin eure einzige Chance.«
Gabe rannte auf die Querstraße zu, wo er den 4Runner geparkt hatte. Vorn auf dem Palm Drive verschwand der blaue Tahoe. Er schien die ganze Luft in seiner Lunge mitzunehmen. Ein Streifenwagen raste mit zuckendem Blaulicht und heulender Sirene auf sie zu. Er warf einen Blick über die Schulter.
Keine Spur von Ian Kanan.
Noch immer hielt er das Klappmesser in der Hand. Hinten lief Diaz quer über das Oval. Rechts drüben sprangen die Scheinwerfer eines Pick-ups an.
»Sarge«, brüllte Diaz, »warte.«
Mit röhrenden Reifen jagte der Pick-up auf einer Zufahrtsstraße durch die Bäume, um die Verfolgung des Tahoe aufzunehmen.
Diaz schaute ihm nach und warf die Arme in die Luft. Dann brüllte er in Gabes Richtung und deutete auf den Pick-up. »Quintana, das ist Kanan in meinem Wagen. Wir müssen ihn abfangen.«
Schon hatte der Pick-up den Palm Drive erreicht, und seine Rücklichter wurden zu roten Nadelspitzen. Diaz hetzte quer übers Gras, bis er Gabe eingeholt hatte. Schwer atmend stürmten sie nebeneinanderher.
»Kanan weiß nicht, dass er dich hier zurückgelassen hat, oder?«
»Nein. Er kann sich nichts länger als vielleicht fünf Minuten
merken. Er weiß nur, dass er seine Familie zurückholen will.«
Diaz’ Pick-up bog rechts auf den Campus Drive und verschwand.
»Kannst du ihn nicht irgendwie anrufen?«
»Noch nicht, hab ich doch schon erklärt. Und selbst wenn, würde er nicht auf mich hören. Die Jagd auf den Tahoe wird er nicht abbrechen. Er will die Entführer nicht aus den Augen verlieren.«
»Schlau von ihm.«
»Das ist seine einzige Chance. Wenn er sich auch nur einen Sekundenbruchteil ablenken lässt, zerrinnt die Wirklichkeit wie Wasser. Als würde jemand aus dem Jenseits seine Gedanken einsammeln und sie verbrennen.«
Sie liefen durch einen Eichenhain. Gabe zog seine Schlüssel heraus und drückte auf die Fernbedienung. Vorn blitzten die Standlichter des 4Runner auf.
»Ich dachte schon, ich hab die Entführer«, keuchte Diaz. »Aber der Fahrer hat mich im Seitenspiegel entdeckt und Gas gegeben.«
»Wann schaltet sich Kanans Telefon ein?«
»Um zehn, aber bis dahin können wir nicht warten. Wenn er den Tahoe zu lange aus den Augen verliert, vergisst er, dass er ihn je gesehen hat. Er wird weiterfahren, und wir finden ihn nie wieder.«
»Er hat dich doch schon mal gefunden.«
»Darauf kommt’s jetzt nicht an.«
»Worauf dann? Warum die Eile?«
»Er hat einen brisanten Behälter dabei. Die Probe aus dem Nanotech-Labor, sie ist in seinem Computerakku. Er
hat sie scharf gemacht. Die bleibt keine fünfundvierzig Minuten mehr stabil.«
»Und dann?«
»Dann explodiert sie.«
Wut und Verzweiflung brandeten in Gabe hoch. »Und Kanan wird das Ding nicht entsorgen?«
»Inzwischen weiß er gar nichts mehr davon. Er hat keine Ahnung, dass er eine tickende Bombe dabeihat.«
Sie waren endlich beim 4Runner, sprangen hinein, und Gabe fuhr mit quietschenden Reifen los.
»Weiß Kanan, wer hinter der ganzen Sache steckt?«
»Nein.«
»Jo hat gesagt, dass eine Riva Calder im Tahoe sitzt.«
»Calder? Das ist eine Managerin von Chira-Sayf.« Diaz stützte sich an der Tür ab. »Sie hat die Entführung von Misty und Seth arrangiert?«
»Sieht so aus.«
»Sie kennt die Familie gut. Hat zusammen mit Misty studiert. Das ist schlimm, Mann. Die Frau ist Ian unheimlich.«
»Wieso?«
»Sie ist total in ihn verknallt. Schon immer.«
Gabe warf ihm einen ungläubigen Blick zu. »Wenn das stimmt, dann wird’s eng für Kanan und seine Frau.«
»Was du nicht sagst, Mann.«
Während er mit einer Hand am Steuer über den Palm Drive raste, wählte er mit der anderen 911.
»Wahrscheinlich hat Calder Ians Handynummer«, bemerkte Diaz.
»Wenn sein Telefon um zehn anspringt, wird sie sich also bei ihm melden und die Unschuldige spielen.«
Er verließ den Schutz der Bäume, bog auf den Campus Drive und jagte in Richtung Footballstadion. Das Flutlicht
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