Die Strafe - The Memory Collector
darfst du nicht denken. So funktioniert die Welt nicht. Und ich werde nicht immer hier sein.«
Immer auf alles gefasst. Ihr Mann war halb Hellseher, halb Pfadfinder, die ideale Mischung zur Gefahrenabwehr.
Es war kalt im Zimmer, aber lieber erfror sie, als dass sie Rivas teure Kleider anzog. Wenn sie das tat, würden die Leute nur einen Blick auf sie werfen - das lange, glatte Haar und die schlanke Figur, für die sie so hart trainierte - und dann voller Trauer feststellen: »Ja, das ist Riva Calder.«
Am College war es toll gewesen, wie Riva auszusehen. Mit Rivas Ausweis konnte sie sich ein Bier kaufen oder doofe Clubtürsteher reinlegen - alles ganz harmlos. Aber jetzt hatte die Vorstellung eines Identitätstauschs alles Unschuldige verloren.
Karma konnte gnadenlos sein.
Sie strich mit den Fingern über den Boden. Schließlich streifte sie den Draht. Nachdem sie sich die Hand an der Bluse abgewischt hatte, nahm sie das Werkzeug und suchte den Schlitz in der Schraube. Erneut winselte Whiskey und schob ihr die Nase unters Kinn.
»Schon gut. Zu Hause kriegst du eine Riesenschüssel Wasser. Und ein T-Bone-Steak. Und Seth.«
Als sie den Namen ihres Sohns aussprach, brach ihre Stimme. Wie war es ihm ergangen, seit sie hier gefangen war? Nein, sie durfte jetzt nicht die Nerven verlieren.
Sie drückte vorsichtig in eine Richtung und spürte, wie sich die Schraube allmählich lockerte. Ja. Nach einer weiteren Umdrehung fiel die Schraube heraus. Sie kniete sich hin und löste den Knauf von der Tür.
Jetzt kam der schwierige Teil. Sie bog den Draht zu einem Haken und erkundete vorsichtig das Innere des Schlosses. Auch das hatte sie von Ian gelernt.
Leise flüsterte sie Whiskey zu: »Endlich hab ich mal was von seiner vergeudeten Jugend.«
Damals an der Universität hatte Riva gespottet, dass Misty mit Ian zwar heißen Sex erleben, aber ansonsten nicht viel von einer Ehe mit ihm haben würde. Soldaten verdienten schließlich nichts.
Mit einem Klick schnappte das Schloss auf. Ungläubig stand sie auf und drückte gegen die Tür.
Knarrend öffnete sie sich zum Wohnzimmer. Die Lichter waren ausgeschaltet, auch draußen war alles dunkel. Reglos lauschte sie auf der Schwelle nach den Männern. Es war still im Haus. Ein fauliger Geruch hing in der Luft. Vor dem Wohnzimmerfenster erspähte sie überquellende Mülltonnen und Unkraut.
Und Scheinwerfer.
Sie strichen über den Garten, und ein Wagen bog in die Auffahrt.
»Verdammt. Whiskey!«
Sie lief durchs Wohnzimmer hinüber zur engen, schmutzigen Küche. Whiskey schoss an ihr vorbei in einen Gang, der zu den anderen Zimmern führte. Seine Krallen klackten auf dem Parkettboden, als er um die Ecke verschwand.
Sie klatschte in die Hände. »Whiskey.«
Die Hintertür war verschlossen. Das Auto draußen stand im Leerlauf in der Auffahrt. Sie hörte das Summen des Garagentors.
Und sie hörte Whiskey, der die Pfoten gegen eine andere Tür stemmte. Er bellte und begann, wild zu scharren. Sie pfiff nach ihm, warf den Riegel zurück und riss die Hintertür auf. Whiskey bellte und kratzte an der Tür am Gang, als wollte er ein Loch hineinbohren. Plötzlich vernahm sie ein dumpfes Poltern. Sie erstarrte.
Sie war nicht allein. Im Haus war noch jemand anders gefangen.
Vom Rücksitz des Tahoe aus beobachtete Jo, wie sich das Garagentor ratternd nach oben schob. Sie befanden sich vor einem verwahrlosten Ranchhaus in Mountain View, nicht weit von der San Antonio Road. Der Rasen war überwuchert mit Unkraut. Neben der Eingangstreppe platzten die Mülltonnen aus allen Nähten.
Als das Tor offen war, erfassten die Scheinwerfer in der Garage einen einzelnen Stuhl auf dem Betonboden und darüber eine nackte Glühbirne. Murdock hüpfte hinaus und trabte hinein, um ihn wegzustellen.
»Wirklich nette Bleibe hier, Riva«, meinte Jo. »Ich wusste gar nicht, dass Sie sich als Vermieterin einer Bruchbude was dazuverdienen.«
Calder warf ihr einen Blick zu, der zwischen Woher weiß die das? und Was heckt sie jetzt schon wieder aus? schwankte.
Manchmal war Sarkasmus wirklich ein nützliches Instrument.
Vance ließ den Geländewagen in die Garage rollen, und das Tor wummerte wieder nach unten. Er öffnete die Tür, um auszusteigen.
»Moment«, sagte Calder. »Du tauschst mit Beckett. Sie fährt jetzt.«
Kurz hatte es den Anschein, als wollte Vance protestieren. Aber offenbar war selbst ihm klar, dass er beim Treffen in Stanford miserable Fahrkünste bewiesen hatte.
»Fesselt sie
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