Die Strafe - The Memory Collector
ans Steuer«, befahl Calder.
Vance zog die hintere Tür auf. Jo kletterte hinaus und nahm behutsam auf dem Fahrersitz Platz. Ihre Rippen pochten, und jeder tiefere Atemzug tat ihr weh.
Calder klemmte sich wieder ans Telefon. »Larry, hier ist Riva Calder. Ja, ich bestätige den Flug. Es sind drei Passagiere.«
Murdock trat an den Schrank in der Garage und kehrte mit einer Handvoll Kabelbindern zurück. Er beugte sich in den Wagen und band Jos Hände ans Lenkrad. Dann nickte er Vance zu, und sie steuerten zu zweit aufs Haus zu.
Der Streifenpolizist näherte sich dem Stow Lake. Der Strahl seiner Taschenlampe schwenkte hin und her, fand aber nur Nebel. Von einer Brücke keine Spur.
Plötzlich drang ein Platschen aus dem Dunkel. Er beschleunigte seinen Schritt. Ein schwacher Schrei wirbelte
durch den Dunst. Er trabte los und sah vor sich die Ziegelmauern der Brücke.
Noch immer hörte er ein leises Klatschen wie von einem Tuch, das gegen die Wand einer Badewanne streifte. Hastig lief er auf die Brücke und leuchtete mit der Taschenlampe auf den See.
Dann entdeckte er den Arm, der im Zeitlupentempo durchs Wasser fuhr, und ein wachsbleiches Gesicht, das unter die Oberfläche zu sinken drohte.
»Halt durch, Kumpel«, rief er. »Ich komme.«
Misty erstarrte mit der Hand auf dem Türknauf. Whiskey winselte, als wäre er mit der Pfote in eine Wolfsfalle geraten.
Sie fühlte sich, als hätte sie ein offenes Stromkabel angefasst. Es gab nur einen Menschen, bei dem Whiskey so durchdrehen würde.
Von drüben aus der Garage hörte sie, wie der Wagen hineinrollte. Der Motor heulte auf, dann fuhr das Garagentor wieder nach unten. Whiskey stieß ein markerschütterndes Jaulen aus.
Rasch lief sie hinüber. Whiskey scharrte an einer Tür. Sie schob den Riegel zurück und riss sie auf.
»Seth.«
Ihr Sohn lag auf dem Boden, Hände und Füße mit Plastikfesseln verschnürt. Er musste gegen die Tür getreten haben. In seinem Mund steckte eine Socke, die mit einem Stofffetzen fixiert war. Seine Augen quollen hervor.
Auch hier waren die Fenster zugenagelt. Und wenn Seth nicht laufen konnte, waren sie geliefert.
Misty sprintete hinüber in die Küche, zerrte hastig eine
Schere aus dem Messergestell und rannte wieder zurück. Da hörte sie, wie sich die Tür von der Garage öffnete. Sofort stürzte sie in Seths Zimmer und schloss die Tür.
Whiskey wedelte mit dem Schwanz und leckte Seth das Gesicht ab. Er jaulte so wild, dass er praktisch sang. Misty kniete sich hin und begann, an Seths Fußfesseln zu sägen. Diese Kabelbinder waren dick und unglaublich zäh. Mit zitternder Hand schnitt sie sie durch.
»Steh auf«, zischte sie atemlos.
Unbeholfen rappelte sich Seth hoch. Drüben im Wohnzimmer erklangen Männerstimmen. Schlüssel landeten auf einem Tisch.
Plötzlich sagte einer: »Hey, die Tür. Murdock, der Knauf an der Tür der Frau ist …«
Misty packte Seth, riss die Tür auf und rannte durch den Gang hinüber in ein anderes Zimmer. Hier waren keine Bretter vor den Fenstern, sondern Vorhänge. Sie steckte die Schere in die Hintertasche. Dann kletterte sie aufs Bett und öffnete mit fliegenden Fingern das Fenster.
»Kletter raus, ich schieb dich hoch«, flüsterte sie ihm zu.
Mit dem Knebel konnte Seth nicht reden. Er schien total verängstigt. Aber er nickte und murmelte etwas, was sie sofort als »Du zuerst« deutete.
»Nein. Los, Seth.«
Er wandte sich um und legte die gefesselten Hände aufs Fensterbrett. In diesem Moment schlug krachend die Tür auf.
Misty fuhr herum. Murdock stand auf der Schwelle, eine Pistole in der Hand.
»Raus, Seth!«, rief sie.
Doch als sie Seths Gesicht sah, verließ sie der Mut. So groß seine Furcht war, er war entschlossen, sie nicht im Stich zu lassen.
Murdock zeigte die Beißer und sein glänzendes Zahnfleisch. »Bleib lieber hier, Seth.«
Völlig außer Atem erschien nun auch Vance in der Tür und zupfte sein Bandana zurecht. »Scheiße, der Junge hat schon wieder die Füße frei.«
Einen Moment lang hatte Misty das Gefühl, in Wasser zu versinken. Dann zog sie langsam die Bluse über die Hintertasche ihrer Kordhose.
Murdock packte Whiskey am Halsband und drückte dem Hund den Lauf seiner Waffe an den Kopf. Seine Augen waren wie die eines Hais, gierig und leer.
Sein Mund dehnte sich zu einem widerlichen Grinsen. »Und deine Mom kommt als Nächste dran. Du möchtest bestimmt nicht für den Tod deiner Mom verantwortlich sein. Mit so einer Schuld willst du doch
Weitere Kostenlose Bücher