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Die Strafe - The Memory Collector

Titel: Die Strafe - The Memory Collector Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Meg Gardiner
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auf.
    »Noch was«, sagte Jo.
    »Ich hasse ›noch was‹. Meistens ist damit ›noch was Schlimmeres‹ gemeint.«
    »Allerdings. Kanan wird sich nicht von seinem Vorhaben
abbringen lassen. Wenn er tatsächlich entschlossen ist, jemanden zu töten, wird er die Sache verfolgen, bis sie erledigt ist. Denn selbst wenn ich ihn vom Gegenteil überzeuge, hat er das nach spätestens fünf Minuten vergessen. Und dann verschwindet er wieder. Wir müssen ihn verhaften, bevor jemand stirbt.«
    Tang wirkte nachdenklich. »Melde dich, sobald du Kanans Frau erwischt hast. Wir statten ihr gemeinsam einen Besuch ab.«
     
    Jo warf die Schlüssel auf das Tischchen im Flur und strebte in die Küche. Es war kalt im Haus. Ohne die Jacke auszuziehen, drehte sie die Heizung auf und schaltete ein paar Lichter ein. Die Hartholzdielen glänzten. Ihr Spiegelbild folgte ihr.
    Die Ereignisse des Vormittags standen ihr frisch vor Augen. An ihrem Pullover hing noch Kanans Geruch. Obwohl sie das alles abschütteln wollte, zwang sie sich, am Küchentisch Platz zu nehmen, um, solange die Erinnerungen noch lebendig waren, mit den Notizen zu Kanans Fall zu beginnen. Zunächst musste sie alles aufzeichnen, was er gesagt hatte.
    Der Schnitter bringt die Ernte ein, während ich noch rumlaufe.
    Eine furchtbare Vorstellung. Leben ohne Gedächtnis, ohne die Fähigkeit zu lernen und sich zu erinnern. Ein Leben, das für Momente hell aufflackerte, nur um wieder zu verschwinden, für immer unerreichbar wie eine bei schneller Fahrt aus dem Autofenster flüchtig wahrgenommene Szenerie. Der reinste Alptraum.

    Sie berührte das koptische Kreuz an ihrer Halskette. Es stärkte sie in dem Glauben, dass der Tod vielleicht keine Auflösung war, sondern vielmehr eine radikale Veränderung.
    Einen Sekundenbruchteil lang sah sie ihren Mann vor sich, zuerst lebendig, dann tot. Die Erinnerung schnürte ihr die Kehle zu. Daniel war fort, ihr gemeinsames Leben für immer ausgelöscht. Aber die geistige Auslöschung - wenn die Erfahrungen eines Menschen einfach eingesammelt und weggefegt wurden - war fast noch beängstigender. Das Bewusstsein bestand doch aus Intelligenz, aus Humor, aus Seele. Was blieb davon übrig, wenn es kein Gedächtnis mehr gab?
    Sie legte den Stift weg und stapfte nach oben, um zu duschen.
    In einem Bilderrahmen auf der Schlafzimmerkommode stand Daniels Foto. Ein Schnappschuss von einer ihrer letzten Kletterpartien im Yosemite Park. Daniel hinter ihr, die Arme um ihre Schultern geschlungen, einen amüsierten Ausdruck auf dem Gesicht. Jo strahlte. Als Kulisse der Half Dome im goldenen Licht des Sonnenuntergangs.
    Du fehlst mir so, Danny.
    Daniel war Notfallarzt gewesen, engagiert, talentiert, offen für die Welt. Bei der Arbeit war er immer wie ein Buddha im Auge des Sturms. Doch trotz seiner äußeren Gelassenheit hatte in ihm ein starkes Feuer gebrannt, das er in sich eingeschlossen hatte und ihr nur in Momenten großer Anspannung zeigte. Manchmal wurde seine Stimmung so düster, dass er nicht mehr redete und einfach einen Zehnkilometerlauf machte oder sich vors Haus setzte und den
basketballspielenden Kindern im Park auf der anderen Straßenseite zuschaute. Doch nach einiger Zeit hatte sie gelernt, ihn in die Gegenwart zurückzuholen.
    »Zwing mich nicht, die Bratpfanne zu holen«, drohte sie ihm bei solchen Gelegenheiten. »Sie dröhnt zwar wie ein Gong, wenn ich sie dir auf deinen Dickschädel haue, aber dann kriegt sie vielleicht eine Beule, und ich brauch sie doch später noch zum Kochen.«
    Meistens zog er sie dann neben sich auf die Stufen. Und wenn er lächelte, ging die Sonne auf.
    Wenn er sie vor dem Morgengrauen aufweckte, weil er angefunkt worden war, oder wenn er wieder einmal die Bettdecke niedergerungen hatte, sagte sie manchmal nur: »Bratpfanne.« Dann ignorierte er lachend ihre Einwände und ließ sie nicht mehr schlafen.
    Inzwischen wachte sie allein auf. Zuerst war es jedes Mal ein Schock gewesen - Momente der Verwirrung, bevor die Erinnerung und die Realität sie überrollten wie Schlacke, die von ihrer gemeinsamen Reise übrig geblieben war. Wie die von den Wellen hin und her gespülten medizinischen Vorräte in dem Rettungshubschrauber, in dem Daniel gestorben war. Wenn sie an diesen ersten Tagen die Augen aufschlug, war das Licht wie ein Funke, der alle Ereignisse noch einmal in ihr entfachte.
    Die Zeit hatte den Schmerz gelindert. Nach dem Aufwachen zog sich der Kummer nicht mehr wie eine dicke Schlinge um ihren Hals, wenn

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