Die Strafe - The Memory Collector
selbstverständlich.
Sie war dankbar dafür, dass er ihr Zeit ließ. Sie trafen sich seit November - in unregelmäßigen Abständen, weil einmal er und dann sie weggefahren war und weil er sie nicht bedrängen wollte.
Gabe wusste nur zu genau, welchen Schicksalsschlag sie erlitten hatte. Schließlich war er es, der ihr mitgeteilt hatte, dass Daniel tot war. Aber sie fragte sich, ob er wusste, wie
sehr er sie in Wallung brachte. Dass sie jederzeit explodieren konnte wie eine Dynamitstange.
Ferd klopfte an die Eingangstür. Heftig und wiederholt.
»Du willst also, dass ich bleibe?« In seinen Augen funkelte es.
»Nein.«
Sein Lächeln wurde breiter. »Ich bleibe nur ein paar Minuten.«
»Du bist ein verdorbener Mensch, weißt du das? Von Grund auf schlecht.«
»Ich habe deine Seele mit einem Donut gekauft, vergiss das nicht. Jetzt kommst du mir nicht mehr davon.«
Wieder pochte es. Jo kapitulierte und machte auf.
Ferd füllte den Türrahmen und wippte auf den Zehen. »Hast du die Nachrichten gesehen?«
Mit Ferd zu sprechen, war, als müsste man mehrere Wiesel gleichzeitig in eine Kiste sperren. Wenn ihr irgendwas Falsches herausrutschte, konnten seine Ängste hervorbrechen und ihn in tiefste Qual und Hypochondrie stürzen.
»Nachrichten vermeide ich. Ich will mir nicht den Tag ruinieren.«
Er federte auf und ab. Er war nicht übergewichtig, aber seine Kleider hingen sackartig an ihm herunter, und Jo vermutete, dass er als Teenager einige Kilo zu viel auf den Rippen gehabt hatte. Auf dem Namensschild des Computerladens an seinem Hemd stand: Hi, ich heiße Ferd.
»Affenvirus«, zischte er.
Ferd hütete schon seit vielen Jahren die Villa nebenan. Die Besitzer hielten sich in Italien auf und waren wohl nicht
über Ferds kleinen Mitbewohner Mr. Peebles informiert - ein Kapuzineraffe, aber alles andere als ein Heiliger.
»Nichts davon gehört«, erwiderte sie.
Verstohlen blickte er über die Schulter. »Kann ich vielleicht reinkommen? Ich will nicht, dass die Nachbarn was mitkriegen.«
Obwohl sie ausgebildete Therapeutin war und immer davon redete, dass man Grenzen setzen musste, erteilte sie ihm keine Abfuhr. Er war eine furchtbare Nervensäge und ein spektakulärer Neurotiker, aber auch ein wachsamer Nachbar, der ihr geholfen hatte, als ihr Haus im letzten Oktober bei einem Erdbeben beschädigt wurde. Also ließ sie sich von ihrer guten Laune, dem starken Kaffee und der Erinnerung an Gabes Küsse dazu bewegen, ihn nicht wegzuschicken.
Er lief schnurstracks in die Küche. Als er Gabe entdeckte, blieb er stehen und rieb sich die Hände wie ein wahnsinniger Wissenschaftler.
»Hallo, Ferd.« Gabe hielt ihm die Tüte mit Donuts hin.
»Nein, danke«, antwortete Ferd.
Jo trat hinter ihm ein. Gabe trank seinen Kaffee und wirkte, als hätte er alle Zeit der Welt. Für jemanden, der dazu ausgebildet war, Schwerverletzte bei laufenden Kampfhandlungen zu bergen, und der mehr Fallschirmabsprünge absolviert hatte als so manches Mitglied der 101st Airborne Division, projizierte er ein erstaunlich überzeugendes Bild völliger Unbeschwertheit. Das Leben bestand nur aus Flipflops, Surfen und einer kalten Flasche Bier. Doch Jo hatte in den letzten Monaten und auch schon davor unter schrecklichen Umständen genügend Zeit mit ihm verbracht, um zu
wissen, dass der Schein trog. Er war ein stolzer, zutiefst leidenschaftlicher Mann, der nicht davor zurückschreckte, einen Gegner zu töten.
Er starrte auf ihre Notizen zu Ian Kanan.
Ferd wandte sich ihr zu. »Dieses Virus wurde im Kongo nachgewiesen. Hab auf der Website der World Veterinary Organization davon gelesen. Mehrere Arten im Hochland sind betroffen.«
Jo rauschte an ihm vorbei. »Schön, dass die Tierärzte den Fall bearbeiten.«
Sie fühlte eine leichte Verärgerung aufkeimen. Gabe las einfach ihre Notizen und betrachtete die Fotokopien von Kanans Pass und Führerschein. Sie sammelte die Blätter ein und schloss das Notebook.
»Ich beobachte die Entwicklung«, erläuterte Ferd. »Aber ich kenne die Latenzzeit des Virus nicht.«
»Willst du wirklich keinen Donut?«, fragte Jo.
»Wie lange dauert es, bis solche Krankheiten ausbrechen?«
Jo stemmte die Hände in die Hüften. »Mann, Mr. Peebles kommt nicht aus dem Kongo. Er kommt aus einem Tierladen in San Mateo.«
Ferd hatte es irgendwie geschafft, sich den Kapuzineraffen zur emotionalen Unterstützung verschreiben zu lassen. Aber das kleine Geschöpf war mindestens genauso argwöhnisch und überängstlich
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