Die Strafe - The Memory Collector
gedreht, und er war dabei.«
»Arbeitshypothese.«
»Er hat also was Gefährliches geklaut. Aber irgendwas ist schiefgelaufen, und er wurde kontaminiert.«
»Vielleicht hat er mich deswegen gefragt, ob ich es habe, und geschworen, dass er den Auftrag zu Ende bringen wird.«
»Eine Auseinandersetzung zwischen Dieben? Demnach hat er es auf seine Komplizen abgesehen?«
»Rache wäre ein plausbibles Motiv.« Jo beugte sich vor. »Irgendwas quält ihn furchtbar. Neben dieser Kopfverletzung, meine ich. Der Mann wird von Schmerz und Angst getrieben.«
»Klingt fast, als hättest du Mitleid mit ihm.«
»Einfühlung. Ich kann seinen Schmerz spüren, es ist schrecklich.« Sie nahm ihre Tasse. »Das heißt nicht, dass ich ihn für harmlos halte. Wenn wir Kanan nicht finden, werden Leute sterben.«
Tang zog ein Notizbuch aus der Tasche. »Hast du dir die Namen auf seiner Hitliste gemerkt?«
»Nur einen. Alec.«
»Kein Nachname?«
»Tut mir leid.«
»Diese anterograde Amnesie - das kann sich nicht allmählich bessern?«
»Nein. Sie ist selten, aber verheerend«, erwiderte Jo.
»Warum kann er sich fünf Minuten lang erinnern und vergisst dann alles?«
»Die Bildung von Erinnerungen passiert nicht sofort. Es ist kein Ereignis, sondern ein längerer Vorgang. Einer, der sich in mehreren Teilen des Gehirns abspielt. Wenn neue Informationen ankommen, bleiben sie einige Minuten im Arbeitsspeicher - Arbeitsgedächtnis heißt der Fachausdruck. Dann werden die Informationen von den mittleren Schläfenlappen verarbeitet und an die Teile des Gehirns weitergeleitet, wo sie als Langzeiterinnerungen gespeichert werden.«
»Kanans Verarbeitungsausrüstung ist also beschädigt. Und wird auch nicht mehr heil?« Tang runzelte die Stirn.
»So wie diese Kernspinaufnahmen aussehen, kann ich es mir nicht vorstellen. Die Gehirnmasse wurde von innen weggefressen. Sie ist einfach verschwunden.«
»Was ist die Ursache?«
»Kanan selbst hat zuerst von einer Vergiftung gesprochen, danach von Kontamination.«
»Womit?«
»Keine Ahnung. Ich weiß nicht mal, ob es zufällig oder absichtlich passiert ist. Entweder war er verwirrt oder zugeknöpft. Wollte ihn vielleicht jemand umbringen? Oder war es ein Selbstmordversuch? Er hat sich nicht klar ausgedrückt.«
»Und was willst du jetzt tun?«
»Ich gehe die Sache genauso an wie eine psychologische Autopsie.«
»Bloß dass der Kerl nicht tot ist.«
»Aber Ursache und Art der Verletzung sind unklar.«
Jo führte psychologische Autopsien bei ungeklärten Sterbefällen durch, wenn weder Polizei noch Gerichtsmedizin feststellen konnten, ob es sich um eine natürliche Todesursache, Unfall, Selbstmord oder Mord handelte. Also bei den kniffligen Fällen, die keine eindeutige Zuordnung erlaubten. Die Fälle, die von Leuten mit einer Vorliebe für Geständnisse und unumstößliche Beweise nicht gelöst werden konnten.
»Neues Betätigungsfeld?«
»Ja, damit in meinem Lebenslauf nicht bloß immer die Nackten und die Toten drinstehen.« Sie bedachte Tang mit einem giftigen Lächeln. »Ich kann in Kanans Vergangenheit graben, um herauszufinden, wie er sich diese …«, fast hätte sie Seuche gesagt, »… Kontamination geholt hat, oder
was es auch ist. Dann kriege ich vielleicht auch raus, um was es sich handelt. Und hinter wem er her ist.«
Tang legte die Hände um den Becher. »Die Polizei hat dich hinzugezogen, oder?«
»Wegen einer möglichen Zwangseinweisung. Ich bin also nicht als Beraterin an Bord, sondern nur als Mitglied des mobilen Krisenteams. Aber im Stab der Polizeibehörde gibt es eine Stelle für eine psychologische Kontaktperson.«
»Sozialarbeiter haben einen viel niedrigeren Stundensatz als Psychiater.«
»Super, dann hol dir doch einen. Ich flieg inzwischen nach Maui, bis der Sozialarbeiter Kanan gestellt und ihm ausgeredet hat, Jagd auf mich zu machen.«
Tang nahm die Hände hoch. »Kleiner Scherz zum Wohl der Steuerzahler. Hör zu. Kanan hat sich mit Passagieren im Flugzeug herumgeprügelt, einen Polizisten attackiert und dich mit einem Messer bedroht. Das ist Entführung, Freiheitsberaubung und tätlicher Angriff. Ich möchte also, dass du uns in diesem Fall als psychologische Kontaktfrau berätst. Schreib mir ein Gutachten über Kanan, damit wir ihn aufspüren.«
»Gut. Danke.«
»Klemm dich dahinter«, setzte Tang hinzu. »Du musst rauskriegen, auf wen er es abgesehen hat.«
Bevor er mich findet. »In Ordnung.«
Tang trank den letzten Schluck Kaffee und stand
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