Die strahlenden Hände
und griff Corinna persönlich an.
»Ich soll meine Tochter als Lockvogel zur Verfügung stellen?« sagte Doerinck, zitternd vor Erregung. »Das kann keiner von mir verlangen. Das ist doch nicht Ihr Ernst!«
Von der ausgebrannten Scheune her kam langsam Marius Herbert herüber. Er hatte eine Zeitlang in die Gluthaufen gestarrt und setzte sich jetzt neben Corinna auf das Trittbrett.
»Alles weg, nicht?« sagte er und legte seine rechte Hand auf Corinnas Knie.
»Ja, alles.«
»Alle Entwürfe, die Werkstatt, die fertigen Sachen … Sie sind wieder bei Null.«
»So ist es.«
»Wie ich. Mein Vorschlag: Fangen wir zusammen von vorn an?«
»Sie und ich?«
»Warum nicht? Sie haben Ideen, ich habe Ideen. Sie haben, wenn man's glauben soll, strahlende Hände. Ich habe kräftige Hände, die zupacken können. Das zusammen müßte ausreichen, um aus dem Trümmerhaufen da drüben etwas Neues zu machen.«
»Sie sagen das so selbstverständlich, Marius. Ich kenne Sie gar nicht.«
»Doch!« Er sah sie mit seinen großen blauen Augen strahlend an. »Sie kennen das Wichtigste von mir: Ich habe Magenkrebs. – Genügt das nicht?!«
»Sie sind ein merkwürdiger Mensch«, sagte Corinna leise. Sie hielt Ljudmilas Hand fest, die noch immer tröstend über ihr Haar streichelte. »Aber Sie gefallen mir.«
*
Die Zeitungen brachten den Brand natürlich in großer Aufmachung.
Fotos zeigten die Trümmer der Scheune, aus denen noch immer Rauch aufstieg. Sie brachten das knappe Kommunique der Kriminalpolizei und ein Interview mit Professor van Meersei, dem internationalen Parapsychologie-Forscher. Er nannte Corinna Doerinck ein Phänomen und bestätigte, daß ihre Hände heilende Kräfte besaßen. Die wissenschaftliche Erklärung, die Meersei dazu abgegeben hatte, veröffentlichte man nicht; die verstand ja doch keiner, weil darin Begriffe vorkamen, die man noch nie gehört hatte. Es genügte vollauf, daß er sagte: Corinnas Hände senden Strahlen aus. Das wollte man hören und lesen.
Nun schickten auch die großen Illustrierten ihre Reporter nach Hellenbrand, die Presseagenturen baten um Fotos und Interviews. Das Phänomen Corinna sollte weltweit zur Sensation werden und für leidenschaftliche Diskussionen sorgen.
Noch bis in die Nacht hinein hatten die Beamten aus Münster nach Spuren gesucht. Scheinwerfer verbreiteten Tageshelle, ein Feuerwehrzug blieb noch am Brandort, um ein etwaiges Wiederaufflackern der noch immer schwelenden Glut zu verhindern. Aus der Hauptstadt war auch eine Stunde später der Staatsanwalt Ludwig Zander eingetroffen, sehr verblüfft, den Landgerichtsdirektor Dr. Roemer hier vorzufinden.
Die Art der Brandstiftung war angesichts der totalen Zerstörung nicht mehr rekonstruierbar. Man war auf Vermutungen angewiesen, und deren gab es viele. »Die Sache ist ganz einfach«, sagte der untersuchende Kriminalkommissar Hellwig. »Scheibe einschlagen, ein dickes Strohbündel hineinwerfen, das man vorher angezündet hat – fertig. Alles andere kommt von allein. Das Haus war ja voller leichtbrennbaren Materials. Papier, Teppiche, Wolle, Ölfarben, Nitroverdünnung, dazu die hundertjährigen knochentrockenen Balken und das Fachwerk. Da brauchte man keine großen Anstrengungen, und da gibt es auch keine Spuren. Das einzige, was wir haben, ist der Drohzettel. Geschrieben auf Papier aus einem Schulheft. Mit steiler, ganz sicher verstellter Druckschrift. Blau schreibender Kugelschreiber. Mit einem Nagel an einen Baum geheftet – also hatte der Täter einen Hammer bei sich oder benutzte einen Stein. Ich tippe eher auf einen Stein. Vielleicht kann man das im Labor feststellen. Der Nagelkopf müßte da Auskunft geben. Aber weiter bringt uns das auch nicht.«
»Papier aus einem Schulheft«, sagte Staatsanwalt Zander nachdenklich und blickte dabei auf Doerinck. »Könnte das nicht ein Hinweis sein? Sie sind doch Lehrer, Herr Doerinck!«
»Ein sehr beliebter Lehrer!« fiel Dr. Hambach ein.
»Trotzdem! Wie wär's mit einer Schülerrache?«
»Ich halte das für unmöglich«, sagte Doerinck rauh. »Ich kenne keinen Schüler, dem so etwas zuzutrauen wäre.«
»Man sieht immer nur vor die Stirn.« Staatsanwalt Zander wandte sich an Dr. Roemer. »Erinnern Sie sich, Herr Direktor, noch an den Fall Plünner?«
»Plünner? Ja!« Roemer nickte. »Ein Doppelmord. Eine alte Dame von fünfundsiebzig und ein Junge von zwölf. Großmutter und Enkel. Beide wurden erst durch einen Schlag auf den Kopf betäubt, dann schnitt der Mörder
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