Die strahlenden Hände
und zu. Wenn ich auf der rechten Seite liege. Oder wenn ich – was selten ist – einmal gut esse. Oder wenn ich Bier trinke. Dann zieht es im Magen, wie ein Krampf ist's dann. Aber das geht immer schnell vorbei.«
»Sie waren bei keinem Arzt?«
»Nein. Das kann ich mir nicht leisten.«
»Was heißt das, nicht leisten?« Doerinck beugte sich vor.
»Ich bin kein Angestellter, kein Beamter … ich bin freischaffender Künstler. Für mich gibt es keine Pflichtversicherung. Ich muß die Krankenkasse selbst bezahlen. Zu teuer für mich. Woher nehmen …?«
»Und wenn Sie krank werden, einen Arzt brauchen, ins Krankenhaus müssen?«
Marius Herbert hob die Schultern. »Das wird sich zeigen. Ich weiß nicht, wer's bezahlt. Vielleicht die Wohlfahrt, was weiß ich? Vielleicht verrecke ich auch nur in irgendeiner Ecke. Oder gibt's da einen Sozialfonds? Wo kommen kranke Penner hin? Da werde ich auch landen.«
»Haben Sie keine Eltern oder andere Verwandte?« fragte Roemer.
»Mein Vater ist unbekannt. Ich bin ein außereheliches Kind, wie man so schön sagt. Meine Mutter war Putzfrau – Pardon: Raumpflegerin – bei einem reichen Kerl. Bauunternehmer. Großbauten. Ganze Siedlungen. Feriensilos an der Ostsee. Heute macht er das. Damals, vor einunddreißig Jahren, baute er Sozialwohnungen, Schlichthäuser und Umsiedlerheime. Mutter behauptete immer, dieser reiche Pinkel sei mein Vater, aber sie konnte das nie beweisen. Sie hatte zur gleichen Zeit noch zwei andere Freunde. Da hat ihr der Baulöwe zehntausend Mark gegeben – Mann, war das damals eine Stange Geld! Dafür sollte sie unterschreiben, daß er nicht der Vater ihres Kindes sei. Das hat sie getan. Aus war der Ofen. Die anderen beiden Männer hatten selbst keinen Pfennig. Also hieß es in den Papieren: Vater unbekannt.«
Marius trank noch einen Schluck Saft, ehe er fortfuhr: »Mutter starb vor sechs Jahren an einer Thrombose. Sie hat bis zuletzt geputzt. Meine Ausbildung an der Kunstakademie Düsseldorf war frei, ich hatte ein Stipendium. Wohnen und essen bezahlte ich mit den paar Kröten, die ich durch Jobben im Großmarkt verdiente. Oder als Hilfsgärtner auf dem Nordfriedhof – das war ein guter Job! Immer gab es am zweiten oder dritten Tag nach den Begräbnissen dicke Trinkgelder, wenn die nahen Hinterbliebenen allein zum Grab kamen, um Abschied zu nehmen. Da hatten wir die frischen Hügel immer schön mit den Blumen und Kränzen dekoriert, und ich malte mit Ölkreide oder Wasserfarben das farbenprächtige Grab. Nie vergeblich, sie haben alle gekauft. Sie waren zu Tränen gerührt. Ein Gemälde von Opas Grab, das ist schon was Einmaliges.«
»Sie sind ja ein ganz cleverer Hund«, sagte Roemer. Es klang deutlich nach Anerkennung. »Mich wundert da, daß Sie noch immer im Schatten stehen.«
»Der Friedhofsjob hörte auf, als ich die Akademie in Düsseldorf mit den besten Zeugnissen verließ und es nun hieß: Jetzt zeig, was du kannst! Verdiene!« Marius lächelte ironisch. »Können Sie sich vorstellen, wie es ist, wenn Sie wissen, ich kann etwas, ich bin ein guter Maler, und Sie malen ein Bild nach dem anderen und gehen damit bei den Kunsthändlern hausieren und hören immer wieder: ›Mein junger Freund, sehen Sie sich mal um. Die Wände hängen voll. Darunter bekannte Namen. Was wollen Sie denn noch da? Marius Herbert, ein Neuer – wer kauft das?‹ Und wenn ich entgegnete: ›Wer nicht an der Wand hängt, kann auch nie entdeckt werden!‹ antwortete man mir: ›Machen Sie's wie die Franzosen auf der Place du Tertre: Stellen Sie auf der Straße aus. Können spricht sich rum!‹« Marius nickte mehrmals. »Auch das habe ich gemacht, in Hamburg, in Köln und in München: einen Stand an einer Straßenecke aufgebaut. Es war zum Weinen! Neben mir verkauften andere billige Drucke, zehn oder zwanzig Mark das Blatt, die gingen reißend weg. Meine Originale hingegen wurden zwar bestaunt, aber dann spazierte man weiter. Fünfzig Mark – das war denen zu teuer. Da habe ich dann ebenfalls Drucke verkauft und konnte davon leben. Ich habe Miniaturen gemalt, Landschaften, Blumen, Gebäude, das Stück für zwanzig Mark, und das lief hervorragend. In drei Monaten hatte ich 1.670 Mark gespart, im Spind verschlossen, im Männerheim der katholischen Mission. Eines Tages war der Spind aufgebrochen, das Geld gestohlen … da bin ich weg aus München.« Marius Herbert sah seine Zuhörer lange an und hob dann die Schultern. »So ist das! Das passiert mir immer wieder. Ich habe
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