Die strahlenden Hände
oder nicht, Sie alter Klistierjongleur, ob es mir schadet und mich ein paar Wochen kostet oder ob ich noch in dieser Nacht umfalle – ich brauche jetzt einen kräftigen Schluck. Was haben Sie im Haus, Doktor?«
»Doppelkorn, Doppelwacholder und einen Aufgesetzten.«
»Das reicht.« Roemer klemmte sich hinter das Lenkrad seines großen Wagens. »Was halten Sie von dem Brand?«
»Er bringt Sie um.«
»Haben Sie Hirnausfälle?« Roemer glotzte Dr. Hambach an. »Was habe ich mit dem Brand zu tun?«
»Ach, der Brand?« Dr. Hambach lachte, und auch Roemer bebte jetzt vor Lachen. Aber ebenso schnell kam der Ernst wieder zurück. »Ich hätte nie erwartet, daß man so haßerfüllt und vernichtend reagieren würde.«
»Sie glauben also auch an einen Täter, der in Hellenbrand wohnt?«
»Ja.«
»Wegen des Schulheftpapiers?«
»Auch. Wer die Scheune angezündet hat, kannte sich genau aus. Aus der Masse der Heilungsuchenden war es keiner; die sind gekommen, um eine Hoffnung loszuwerden, nicht, um das zu vernichten, was ihnen helfen soll.«
»Und warum sollte ein Hellenbrander so etwas Sinnloses tun?«
»Das ist eine lange Geschichte, Dr. Roemer«, antwortete Dr. Hambach nachdenklich. »Und auch nur verständlich, wenn man die Leute hier kennt. Stefan Doerinck ist zwar Lehrer und Konrektor der Schule, aber er ist kein Münsterländer, kein Pohlbürger, wie man hier sagt. Er kommt nach dem Krieg her und bringt eine Russin als Frau mit. Das haben die Leute hier nie begriffen. Dann kauft Corinna ausgerechnet den Hof, den damals die Russen verbrannt haben, nachdem sie die ganze Familie des Bauern erschlugen – das hat man hier noch weniger begriffen. Und dann begann das Munkeln, schon seit Jahren, aber immer unter der Oberfläche: die Cora, die ist eine Hexe. Die knüpft nicht nur Teppiche, die zaubert mit den Händen auch Krankheiten weg. Aber Genaueres wußte man nicht. Und deshalb blieb es beim Gemunkel. Nun aber weiß es die ganze Welt: Hellenbrand hat eine Wunderheilerin, und das bedeutet für viele Bürger einen großen Imageverlust ihrer Stadt. Wunderheilerin, so wie es das Fernsehen brachte, ist etwas Anrüchiges. Spott wird über Hellenbrand kommen! Man wird lachen über diese Stadt. Und das alles kommt von einem Russenweib, das auch noch aussieht wie eine herrliche Steppenreiterin. Da brechen plötzlich uralte Opferkulte auf: Mit der reinigenden Flamme das Böse vertreiben!«
»Das heißt: der Brandstifter hat noch nicht mal ein Schuldgefühl …«
»So kann es sein.«
»Das ist die logische Folge einer solchen Verirrung.«
Roemer, der die Brandstelle bereits verlassen hatte, bremste mitten auf der dunklen Zufahrtstraße so plötzlich, daß Dr. Hambach mit dem Kopf fast gegen die Frontscheibe geprallt wäre.
»Sie rechnen damit, daß er die Drohung wahrmacht?« rief er erschrocken.
»Mord? Nein! Aber es gibt eine andere Möglichkeit, einen Menschen zu zermürben. Tausend feine Nadelstiche, immer wieder, bis die Nerven glühen. Die Phantasie des Menschen ist gerade auf dem Gebiet der Zerstörung unerschöpflich. Ich glaube, wir haben da auch in Hellenbrand noch allerhand zu erwarten.«
Im Hause Doerinck war die Stimmung explosionsgeladen.
Ljudmila kochte zunächst einen starken Tee, den Meersei mit Zitrone, Doerinck mit Rum verfeinerte. Das ganze Haus roch nach Brand, denn der Geruch strömte aus den Kleidern, die sich damit vollgesogen hatten. Marius Herbert saß wieder im Sessel und aß den Kuchen zu Ende, bei dem ihn der Feueralarm gestört hatte. Allein schon der Anblick des jungen Mannes mit den langen Haaren ließ in Doerinck Zorn aufwallen. Er wurde noch verstärkt durch die Feststellung, daß der Kerl mehr Rum als Tee in die Tasse füllte.
So schlimm kann es mit seinem Magen also nicht sein, dachte Doerinck giftig. Rum ist kaum eine beruhigende Medizin bei Krebs.
»Der Anfang von Corinnas Popularität war ja sehr turbulent und dramatisch«, sagte er bitter. »Kein Haus mehr, keine Werkstatt, keine Teppiche, alle Entwürfe vernichtet – ein voller Erfolg. Das hätten Sie nicht erwartet, Professor van Meersei. Sie dachten an akademische Diskussionen, als Sie Corinna Ihre Hilfe anboten. Ich übrigens auch. Wir sind alle veraltet, Typen von gestern, Idealisten aus einem Fossilienzeitalter! Die heutige Zeit geht Probleme anders an: Man vernichtet. Das ist einfacher, schneller, müheloser, wirksamer.« Er setzte sich neben Ljudmila auf das Sofa und stützte die Arme auf die Knie. »Wie geht's jetzt
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