Die strahlenden Hände
dich für die Decke, mein Mädchen«, sagte er zu der Hündin, »aber gestehe dem schönen Fräulein, daß du immer an meiner Seite pennst.« Er legte sich auf das zugedeckte Bett, nachdem er schnell seine Schuhe abgestreift hatte, und sofort war Molly neben ihm und rollte sich an seine Seite. Den Kopf legte sie auf seinen Oberschenkel und starrte Corinna abwartend an. »Und schnarchen tut sie wie ein alter Holzknecht.« Er kreuzte die Arme im Nacken und blickte an die Decke. Wie lange wird es dauern, dachte er; ein schönes Bett, ein Bad nebenan, Geborgenheit und Sicherheit, morgen früh ein gutes Essen mit starkem Kaffee oder einem Tee – die Mutter ist ja Russin, kann sein, daß es hier nur Tee gibt, aber auch ein guter Tee ist selten in meinem Leben – wie lange wird das alles dauern? Er zählte im Geiste das Geld, das er noch besaß. Es waren genau 136,12 Mark, der Rest eines Auftrags, ein Schild zum Jubiläum einer Bäckerei: Ein großes, knuspriges Bauernbrot, aus dem – als Brezel – eine 100 herauswuchs. Sehr sinnvoll, sehr dekorativ und umwerfend kitschig. Aber es hatte 200 DM gebracht.
»Woran denken Sie?« fragte Corinna plötzlich. Marius Herbert drehte den Kopf zu ihr und schloß die Augen.
»Ich habe daran gedacht, wie herrlich es ist, in einer Familie zu leben. Ich habe das nie gekannt. Man kommt morgens hinunter, und der Kaffee duftet. Goldgelbe Brötchen lachen einem entgegen, Marmelade ist da, ein Klumpen Butter, ein Ei, vielleicht auch Wurst …«
»… und selbstgeschleuderter Honig.«
»O Himmel! Honig! Das Wasser läuft mir im Mund zusammen … Hilfe, ich muß ertrinken!«
»Wollen Sie ein Honigbrot haben?«
»Jetzt? Um zwei Uhr morgens?«
»Warum nicht? Nach erfüllbaren Wünschen soll man schnell greifen, sonst sind sie schon wieder unerfüllbar.«
»Das ist ein großes Wort.« Er sah sie groß an, und sie wich seinem Blick aus. »Aber es ist nicht überall anwendbar.«
»Man muß es versuchen.« Sie sprang auf und ging zur Tür. »Ich mache Ihnen ein Honigbrot. Ein paar Minuten nur …«
Unten in der Küche traf sie auf ihren Vater, der eine Flasche Mineralwasser suchte. Wortlos beobachtete er, wie Corinna Brot abschnitt, Butter und Honig holte und zu schmieren begann. Als sie eine Flasche Bier aus dem Kühlschrank nahm, sagte er:
»Honig und Bier, das ist 'ne merkwürdige Zusammenstellung.«
»Sie stammt von den alten Germanen«, antwortete Corinna kampfeslustig.
»Honig und Met … das ist etwas anderes.«
»Danke, Herr Lehrer.«
»Findest du es eigentlich in Ordnung, einem völlig fremden Mann dein Auto zu leihen?«
»Er wird mir ein Zelt besorgen.«
»Und wenn er mit dem Auto verschwindet?«
»Warum sollte er?«
»Früher sagten wir: Ich habe schon Pferde kotzen sehen.«
»Marius ist kein Pferd.«
Gegen dieses Argument gab es keinen Protest. Doerinck blickte seiner Tochter stumm nach, wie sie das Honigbrot auf ein Holzbrettchen legte, die Flasche Bier unter den Arm klemmte und die Küche wieder verließ. Brummend löschte er dann das Licht, tappte ins Schlafzimmer und legte sich neben Ljudmila unter die Decke.
»Da gefällt mir jetzt manches nicht«, sagte er, schraubte die Mineralwasserflasche auf und trank einen langen Schluck. »Wir werden auf Corinna aufpassen müssen.«
»Stefanka, sie ist ein erwachsener Mensch.« Ljudmila legte ihre Hand auf Doerincks Brust. »Wir könnten schon lange Großeltern sein.«
»Und wenn sie sechzig ist und Großmutter und ich hundert – sie bleibt meine Tochter! Und ich sage ihr immer noch, was mir mißfällt. Da ist vor allem dieser langmähnige Maler …«
Der Langmähnige saß jetzt im Bett, kaute an dem Honigbrot und brach am Rande etwas davon ab, um es Molly zu geben. Dabei betrachtete er Corinna, die etwas abseits auf einem Stuhl saß, die Hände aneinandergelegt hatte und eine Packung Zigaretten griffbereit neben sich liegen hatte. Auch die Flasche Bier stand neben ihr auf den Dielen.
Corinna wartete, bis Marius Herbert sein Brot gegessen hatte, erhob sich dann und trat an das Bett heran.
»Legen Sie sich hin«, sagte sie. »Auf den Rücken!«
Marius zögerte. »Warum?« fragte er, etwas verwirrt.
»Ich will Ihren Magen behandeln.«
»Bei mir können Sie sich diesen Unsinn sparen.« Marius blieb sitzen. »Als ich den Fernsehbericht sah, habe ich mir gesagt: Die hat den richtigen Riecher. Das kommt bei den Leuten an. Mystik, Wunderglaube, Heilhoffnung – so etwas stirbt nie aus, das ist immer wieder eine große
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