Die strahlenden Hände
Das kann meinen Glauben an das Gute im Menschen anknacken …«
»So ist es.« Hollenbock räusperte sich. »Andererseits ist Ihre Tochter in eine Richtung gerutscht, die ebenfalls viele Menschen verunsichert und ihr reales Denken übersteigt. Meines übrigens auch.«
»Die meisten Zeitgenossen verstehen ja nicht einmal, wie man zum Mond, zum Mars und zur Venus fliegen kann, und trotzdem ist es Realität.«
»Man sieht es! Das überzeugt.«
»Meine Tochter hilft, das sieht man auch. Meine Frau ist von ihr geheilt worden.«
»Vom Krebs?«
»Ja.«
»Sehen Sie, genau hier hört das Begreifen auf. Hier beginnt die Mystik, hier fürchtet sich ein normal empfindender Mensch vor dem Unbegreiflichen. Der eine Teil sucht das Wunder, der andere Teil – der überwiegende – aber empört sich über diesen Hokuspokus. So wie die gesamte Medizin es tut. Mein lieber Doerinck! Die letzten Ereignisse haben doch klar gezeigt, daß Ihre Tochter ein Außenseiter geworden ist.«
»Meine Tochter! Wir wollen über den Begriff Außenseiter jetzt nicht streiten, Herr Schulrat.« Doerinck blickte hinüber zu Rektor Hupp. Der hatte sein Zigarillo zur Hälfte geraucht und zerdrückte ihn jetzt nervös im Aschenbecher. Von ihm war kein Beistand zu erwarten. Dem guten Ferdinand flatterte die Hose. Er war in seinem ganzen Leben nie durch eine forsche Tat hervorgetreten. Er machte brav seinen Unterricht und verwaltete die Schule korrekt, so wie er auch genau Buch führte über den Besuch des morgendlichen Schulgottesdienstes, der ihm sehr am Herzen lag. Der Pfarrer von Hellenbrand, Dechant Wilm, galt deshalb als sein bester Freund. Von Pfarrer Wilm war auch die Bemerkung gekommen: »Wenn das mit Corinna so weitergeht, ist Doerinck nicht mehr tragbar für die Schule!« Ein hartes, aber klares Wort aus dem Mund eines geistlichen Herrn hat im Münsterland von jeher das größte Gewicht.
»Ich möchte feststellen, daß ich keine ›strahlenden Hände‹ habe, um die Sensationsvokabel der Zeitungen zu benutzen«, sagte Doerinck laut. Seine gehobene Stimme ließ Hupp ahnungsvoll zusammenfahren. Jetzt kommt Stefans Offizierston, dachte er erschrocken. Wenn er damit bei Hollenbock loslegt, ist alles im Eimer! Das ist Hollenbocks verwundbarste Stelle: Er hatte sich damals nach dem Abitur freiwillig gemeldet, um Offizier zu werden, aber man nahm ihn nicht wegen eines angeborenen Asthmas. Im Krieg wurde er dann doch noch Leutnant der Infanterie und befehligte eine Kompanie Landesschützen, sogenannte HVler – Heimatverwendungsfähige –, bewachte Brücken und Bahndämme, ein Gefangenenlager mit 400 Franzosen und am Kriegsende ein Benzinlager, das dann die Engländer kampflos eroberten. Alles keine Taten, um einen Orden zu bekommen. Für Hollenbock aber war ein deutscher Offizier ohne wenigstens das EK an der Brust kein Offizier! Hier litt er ehrlich. Oberleutnant Stefan Doerinck aber hatte sogar das Deutsche Kreuz in Gold, verliehen wegen großer persönlicher Tapferkeit. Nun aber war Doerinck ›nur‹ ein Lehrer und ehrenhalber Konrektor, der barbrüstige Hollenbock aber war jetzt sein Vorgesetzter. Das sollte Doerinck nie vergessen, dachte Hupp. Mäßige dich, Stefan, nimm die Stimme herunter!
»Als Vater einer solchen Tochter …« Hollenbock schluckte, ihm war das alles so unangenehm, so peinlich, aber er befürchtete, daß sich sogar die Regierung meldete, wenn dieser Skandal weitere Kreise zog. Und es sah ganz danach aus, als würde diese Corinna Doerinck zu einer Sensation über das Münsterland, ja über die Bundesrepublik hinaus. »Herr Doerinck, ich weiß, Eltern können nichts für ihre Kinder. Ihre Tochter ist erwachsen. Sie haben keinen Einfluß auf ihr Leben. Das alles stimmt, aber es nützt gar nichts, uns das zu erklären. Das Volksempfinden rebelliert, und mit dieser Tatsache sind wir konfrontiert. Dagegen müssen wir einiges tun. Wir müssen uns etwas dazu einfallen lassen, wie man den schulischen Frieden bewahren kann. Ich bin mir sicher, daß vom Regierungspräsidenten auch noch ein Hieb kommt. Und dann meldet sich die Landesregierung in Düsseldorf. Der Kultusminister! Denken Sie an den Stein, der in ein stilles Wasser fällt. Diese Kreise, die dann entstehen! Wie wollen wir da raus, Herr Doerinck?«
»Ich habe vorgeschlagen«, ließ sich Hupp vernehmen, »Corinna möge aus Hellenbrand wegziehen.«
»Das wäre zum Beispiel eine vortreffliche Lösung«, sagte Hollenbock anerkennend. »Man könnte dann sagen: Herr Doerinck
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