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Die strahlenden Hände

Die strahlenden Hände

Titel: Die strahlenden Hände Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Scheune von der Tochter des Lehrers. Das war ein Feuer gewesen!
    »Jeder schreibt jetzt, wie er so einen Brand erlebt hat, was er dabei gesehen hat, wie das so alles bei einem Feuer ist. Hefte raus!« Doerincks Blick flog über die dezimierte Klasse. Er ahnte, daß heute ein wichtiger Tag sein würde. »Schreibt alles, was ihr denkt«, sagte er. »Der beste Aufsatz wird bei der Schulfeier vorgelesen.«
    Gegen zehn Uhr fuhr ein Auto aus Münster auf den Schulhof. Um zehn Minuten nach zehn klopfte es an der Tür von Doerincks Klasse. Ein Schüler der achten Klasse kam herein.
    »Sie möchten bitte zum Herrn Rektor kommen, Herr Doerinck!« bellte er. »Der Herr Schulrat ist da.«
    Doerinck nickte. »Weitermachen!« sagte er zu seinen aufblickenden Schülern. »Ich bin bald wieder hier.«
    Er zog seinen Schlips hoch, knöpfte die Jacke zu und verließ das Klassenzimmer mit kurzen, festen Schritten. Er hatte schon ganz andere Situationen durchgestanden.

11
    Es gibt zwei Arten von Schulräten: Die jovialen, von denen man glaubt, man könne mit ihnen bei einem Bierchen alle anstehenden Probleme besprechen, Grüße von entfernten Bekannten ausrichten und auf väterliches Verständnis hoffen, wobei sich hinterher herausstellt, daß die Onkelhaftigkeit nur eine Masche ist. Ein gerissener Trick, um viel mehr aus dem Gesprächspartner herauszulocken, als der eigentlich sagen wollte. Und dann die Verschlossenen, Verkniffenen, die ganz bewußt den Vorgesetzten herauskehren. Die mit steinerner Miene hinter dem Schreibtisch sitzen und das Gefühl verbreiten, als wollten sie gleich ein Schwert ziehen, um den Untergebenen zu enthaupten. Bei den ersteren redet man in einen Pudding, bei den letzteren gegen eine Granitwand.
    Schulrat Franziskus Hollenbock war ein jovialer. Nur wer nicht wie er im tiefen Münsterland geboren wurde, empfindet einen Namen wie Franziskus Hollenbock als Belastung. Es war auch deshalb in seiner Heimat geblieben – als Schüler, Student und Lehrer. Urlaubsreisen in andere Gegenden, etwa nach Bayern oder ins Rheinland, hatten ihm gezeigt, daß ein Weiterkommen außerhalb seiner engeren Heimat mit großen seelischen Belastungen verbunden sein würde. So hatte man ihn in Bayern mehrfach Rollerbock genannt, im Rheinland sogar Hallenbock. Die Spitze des Unverständnisses aber leistete sich ein Gastwirt in der Schweiz, am Thuner See, der Hollenbock entsetzt anstarrte, weil er Hurenbock verstanden hatte.
    Franziskus Hollenbocks Leben war also vorgezeichnet, zumal er ein echtes Kind seiner münsterländischen Heimat war, dem guten Essen und einem Körnchen hinterher sehr zugetan. Als Schulrat war er beliebt, aber auch gefürchtet. Bei den Arbeitsgemeinschaften traktierte er besonders die Junglehrer – die Lehramtsanwärter, wie sie hießen – mit rechtsgedrehten politischen Fragen, die bei den meist linkssympathisierenden Neupädagogen arge Verlegenheit hervorriefen. Schulrat Hollenbock badete sich dann in einem satanischen Vergnügen, wenn die Antworten nur aus hohlen Schlagworten bestanden; aus Wortkaskaden, die nichts hinterließen, sobald sie in sich zusammenfielen.
    Hollenbock stand jetzt am Fenster, als Doerinck nach kurzem Anklopfen ins Rektorzimmer kam. Ferdinand Hupp, der Schulleiter, lutschte an einem Zigarillo und blinzelte Doerinck stumm, aber warnend zu.
    »Hier bin ich!« sagte Doerinck laut.
    Hollenbock wandte sich vom Fenster ab. Sein rundes, immer freundliches Gesicht war auch jetzt keineswegs vom Ernst der Situation gezeichnet. Er kam auf Doerinck zu, drückte ihm die Hand und ließ sie nicht mehr los.
    »Doerinck, was machen Sie da bloß!« meinte er väterlich. Der gefährliche Joviale. »Erst der dämliche Fernsehfilm, dann der Brand – alle Zeitungen sind voll davon. Und nun sagt mir unser Kollege Hupp auch noch, daß die Eltern ihre Kinder nicht …«
    »Einige Eltern, Herr Schulrat. Ein paar …« Doerinck zog seine Hand aus Hollenbocks Griff. »Man sollte das nicht überbewerten.«
    »Aber man muß es bewerten. Ich erlebe das in meiner zweiunddreißigjährigen Dienstzeit zum erstenmal: Eltern boykottieren einen Lehrer! Und wenn's nur zwei oder drei sind – sie setzen ein Zeichen! Darüber sollten wir uns Gedanken machen!«
    »Gedanken mache ich mir über die Brandstiftung«, sagte Doerinck verschlossen.
    »Ja, natürlich. Das ist eine ungeheure Sache.«
    »Daß jemand hier in der Stadt, in der ich fast ein halbes Menschendasein lebe, dazu fähig ist, das erschüttert mich, Herr Schulrat.

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