Die strahlenden Hände
eingegraben hätte. Dieses Gesicht sah sie vor sich wie ein selbständiges Lebewesen … als sei es abgetrennt vom übrigen Körper.
Ob es gelingt? dachte sie und sog gierig an ihrer Zigarette. Habe ich auch diese Kraft? Zum erstenmal probiere ich es. Wieviel habe ich darüber gelesen! Über den sowjetischen Forscher Professor Leonid L. Wassiliew und sein großartiges Buch ›Experimentelle Untersuchung zur Mentalsuggestion‹. Über Professor Wladimir Raikow und seine erfolgreich praktizierte Idee, die Mentalsuggestion zu benutzen, um den menschlichen Geist suggestiv zu beeinflussen. Um unerkannte Talente freizulegen, schöpferische Fähigkeiten zu mobilisieren. Einen Quell brachliegender Begabungen zu öffnen. Im Institut von Professor Raikow in Moskau malten seine dank der Mentalsuggestion schöpferisch inspirierten Studenten fast wie Raffael oder van Gogh, obgleich sie früher nie malen konnten. Und Studenten des Moskauer Konservatoriums, noch weitgehend unausgebildet und ungeübt in der Technik des Klavierspiels, wurden plötzlich an den Tasten zu Virtuosen, wenn Raikow ihnen suggerierte: »Du bist wie Chopin. Du bist wie Richter. Du bist wie Rubinstein –«
Das Erstaunlichste aber war, daß diese Studenten nach Abklingen der Mentalsuggestion, die in mehreren Sitzungen praktiziert wurde, nicht mehr zurückfielen in ihren vorherigen Zustand. Vielmehr blieben die einmal geweckten, mobilisierten Fähigkeiten und Begabungen erhalten und entfalteten sich im Rahmen der natürlichen Gegebenheiten weiter. Die jungen Menschen wurden gute Maler, anerkannte Pianisten. Professor Raikow nannte dieses Phänomen die ›Identifikation‹. Es handelte sich um Auswirkungen einer Gleichsetzung der eigenen Person mit dem Vorbild. Um die Erfassung des Überbewußtseins – jener geheimnisvollen, weil vom nüchternen Verstand nicht erfaßbaren vierten Dimension des Bewußtseins, die so alt ist wie der forschende menschliche Geist. Die großen Weisen im alten China, in Japan, Tibet oder Indien, im Fernen Osten oder im alten Ägypten, die Analytiker im antiken Griechenland und die mittelalterlichen Alchemisten, die viel geschmähten, die Yoga-Meister und die Schamanen: Sie alle wußten, daß es neben den drei Dimensionen des Geistes – Körperbewußtsein, Traumbewußtsein und Wachbewußtsein – auch noch die vierte Dimension gibt, das Überbewußtsein. Der deutsche Forscher C.G. Jung, der Vater der ›Analytischen Psychologie‹, nannte es das ›Kollektive Unbewußte‹. Es überwindet Zeit und Raum, Personen und Völker. In ihm ist der Erfahrungsschatz der ganzen Menschheit gespeichert, oder – wie es Plato einmal ausdrückte – die ewig existente, unsterbliche Idee. Eine unsichtbare Kraft, ein geballtes Wissensfeld … aber bis heute nur zugänglich durch ein menschliches Medium, dessen nicht erklärbare Fähigkeit es ist, in diese Schwingungs- und Energiefelder einzudringen.
Unbemerkt von westlichen, naserümpfenden Wissenschaftlern ist ein sowjetischer PSI-Forscher, das Mitglied der Akademie der Wissenschaften der UdSSR in Moskau, Professor Weniamin Puschkin, dabei, in seinem ›Labor für Heuristik‹ dieses Wissensfeld der Jahrtausende über Medien aus Studentenkreisen oder der Bevölkerung anzuzapfen und zu neuen überraschenden Erkenntnissen zu gelangen. Nach Puschkins Theorie wäre es möglich, das gesamte Wissen der Menschheit wie in einem Universallexikon zusammenzufassen und in einer menschlichen Gehirnzelle zu speichern: die letzte, höchste Stufe des Minichips, den heute nur ein Computer kennt. Ein submikroskopisches Universalwissen!
Inzwischen hatte Corinna die zweite Zigarette geraucht, nein, geradezu verschlungen. Marius Herbert saß noch immer mit geschlossenen Augen und nur flach atmend vor Corinna, erstarrt in dieser unnatürlichen Haltung mit zurückgebogenem Kopf. Sein Gesicht zeigte keinerlei Regung. Müßte er jetzt nicht aufstehen und zu malen beginnen, dachte sie und wurde unsicher. Bei den russischen Experimenten erwachte die Kreativität vulkanartig, brach gewissermaßen aus den behandelten Personen heraus. Er aber ist wie tot! Wie würde er sich benehmen, wenn eine Staffelei vor ihm stünde, eine Palette, Farben, Pinsel? Spränge er dann auf und würde malen wie Chagall? Oder würde er leer bleiben, weil er in Wahrheit ein leerer Mensch war und nicht fähig, eine Identifikation zu realisieren? Ist er wirklich, wie Papuschka sagt, ein Schwätzer und Blender? Aber wäre es so, dann könnte ihn meine
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