Die strahlenden Hände
Papa?«
»Für den Rohbau wird es reichen.«
»Und dann?«
»Es gibt Banken, die Sparkasse, Kredite, Darlehen, Hypotheken. Das Grundstück gehört mir. Das Haus darauf ist Sicherheit genug.«
»Ein Haus, das dann wieder abbrennt. So wird auch die Bank denken, wenn schon der Zeltfritze eine Risikoversicherung verlangte …« Marius Herbert saß auf einem Hocker im Zelt und trank Bier aus der Flasche. Es roch stark nach ungelüfteter Leinwand und frischem Holz im Zelt, nach Sägestaub und Moder. »Es ist ja so beschissen, dieses Leben! Wenn ich Ihnen bloß helfen könnte!«
»Das können Sie, Marius«, sagte Corinna und sah ihn forschend an. Herbert lachte kurz und spöttisch.
»Womit? Mit dummen Sprüchen?«
»Malen Sie.«
»Was? Den Kirchturm von Hellenbrand? Die Sonne überm Kornfeld?«
»Warum nicht? Chagall hat zigmal den Eiffelturm gemalt, Blumen in der Vase, Artisten im Zirkus. Das Kornfeld und die Sonnenblume sind van Goghs berühmteste Gemälde.«
»Chagall, van Gogh! In einem Atem mit mir! Denen könnte ich nicht mal die Pinsel auswaschen!«
»Und wenn Sie malen könnten wie Chagall?«
»Fürchterlich. Das hieße immer: der Kopist von Chagall! Der Abmaler! Es muß einen original Marius Herbert geben … aber was ist das? Ich sehe ihn nicht.«
»Es wird neben Chagall, Miro, Picasso, Dali auch einen Herbert geben. Einen Marius Herbert, unverkennbar, unverwechselbar. ›Ah, da ist ja ein MH‹, wird man rufen. ›Ein echter MH‹ – Sie müssen daran glauben, Marius. Ganz fest glauben.«
»Das sagen Sie mir hier in einem leeren Zelt! Sie sind abgebrannt, und ich tobe vor Freude, mit Molly ein eigenes Bett zu haben. Nicht für heute, vielleicht für ein paar Wochen, wenn Sie mich so lange ertragen können.«
»Und diesen tobenden Jubel sollten Sie malen.«
»Es würde ein Farbenrausch werden.«
»Fabelhaft!«
»Und wer soll das kaufen? Keiner!«
»Abwarten.« Sie trat nahe an ihn heran, stellte sich hinter ihn, und er hob den Kopf, bog ihn weit nach hinten und starrte sie aus dieser Perspektive groß an. Ihr Gesicht, ihre Augen, die schmale Nase, die rotgeschminkten Lippen waren für ihn merkwürdig weit weg. Unmittelbar über ihm ragten die Wölbungen ihrer Brüste ins Bild, überzogen von der glattgestrickten Wolle eines dünnen Pullovers, der die Formen unterstrich – die von unten nach oben führende Rundung, die auf die Mitte zulaufende Verjüngung, den lockenden Knopf ihrer Brustwarze. Es war ein Anblick, der ihn ungemein erregte, der ein Zucken in seine Fingerspitzen schickte und in sein Herz den Wunsch, die Hände zu heben und diese Brüste zu umfassen. Darüber aber waren die Augen … der Blick drang in ihn, lähmte ihn. Trotz vollen Bewußtseins war es ihm unmöglich, sich noch zu rühren, die Hand zu heben, die Finger zu spreizen, mit den Füßen zu scharren. Nur atmen konnte er noch und sich von diesen Augen erobern lassen. »Du bist ein Chagall«, sagte sie leise, aber mit einer Stimme, die ihn innerlich erzittern und erglühen ließ, ihn verzauberte und in Bann schlug. »Du bist Marius Herbert, du kannst malen wie Chagall. Die Welt ist ein Rausch von Farben … du malst sie … so, wie Marius Herbert sie sieht … du bist ein großer Maler … ein großer Maler … so groß wie Chagall …«
Er spürte ein bleierne Müdigkeit, er wehrte sich dagegen, aber sie überspülte ihn wie eine große Welle. Den Kopf noch immer weit in den Nacken gebogen, schloß er die Augen und empfand Corinnas Worte wie ein fernes, unbestimmbares Flüstern, das seine Müdigkeit nur noch vertiefte. Er merkte es nicht mehr, wie sich ihre Hände flach um seine Schläfen legten und wie eine geheimnisvolle, zwingende Energie in ihn überfloß. Er nahm es auch nicht wahr, daß ihre Hände dann weiterwanderten, hinab zu seinem Leib, um die schreckliche Krankheit in ihm zu bekämpfen.
Eine stumme Schlacht war es, die Corinna allein in ihren Fingerspitzen spürte, als würden spitze Nägel in ihre Haut getrieben.
Nur fünf Minuten dauerte diese Zusammenballung rätselhafter Energie – dann war alles vorbei und alles leer in ihr. Sie trat etwas schwankend zurück, setzte sich hinter Herbert auf einen anderen Hocker, griff zu ihrer Zigarette und hatte Mühe, sich eine anzuzünden, so heftig zitterten ihre Hände. Dabei starrte sie auf Marius' zurückgebogenen Nacken und auf die kurzgeschnittenen blonden Haare. Sein eingefallenes, spitzes Gesicht würde schön sein können, wenn das Elend nicht jahrelang sich
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