Die strahlenden Hände
Kraft eines Mammuts! Und seine Krankheit … das muß man abwarten. Da kann man noch nichts sagen. Aber objektiv geht's ihm besser.«
»Besser? Diese … diese Wunderheilerin behandelt ihn tatsächlich? Dazu hat er sich hinreißen lassen? O mein Gott!« Sie begann ein wenig zu weinen, sah sehr unglücklich und zerbrechlich aus, und Dr. Hambach mußte an Roemers Worte denken: Wenn sie weint, werde ich zu Pudding! »Bitte, bitte, reden Sie auf ihn ein, Doktor. Ich muß mit Erasmus sprechen. Er muß mich anhören, nur fünf Minuten. Ich liebe ihn doch.«
»Vielleicht ist das meine ganze Krankheit!« brummte Roemer, als Hambach dieses Gespräch mit Elise wiedergab. »Ach Ewald, sie war mal ein zauberhaftes Mädchen. Selten dämlich, aber schön! Und an den Füßen hat sie Millionen, vom Fabrikanten-Papa. Ein Goldweibchen. Da denkt man immer: Schön, reich, willig, dumm … das gibt ein Leben! Pustekuchen! Keine Million kann es aufwiegen, daß man miterleben muß, wie sie Alexander den Großen für Peter Alexander hält oder bei Xerxes nur an ein neues Rohrreinigungsmittel denkt. Das ist auf die Dauer nicht zu ertragen. Kaffeetafel, Cocktailparty, Golfparty, Tennisparty, Galadiner hier, Galadiner dort, Modeparty, Hausball bei Puffke, Hausball bei Ruffke, kleines Wiedersehen in St. Moritz, kleines Wiedersehen auf Martinique … O, meine Liebe, wo haben Sie diesen himmlichen Schmuck her? Dieses Blau des Saphirs! Nein, meine Liebe … Ewald, mir steigt die Kotze in den Rachen! Wie herrlich ruhig ist es bei dir. Laß sie nicht rein, ich warne dich. Ich zertrümmere dein Haus!«
In Corinnas Zelt hatten Schreiner und Bauunternehmer in kompromißbereiter Zusammenarbeit den verfügbaren Raum in einige Zimmer unterteilt und im Wohnbereich, einen strengen Winter voraussehend, isolierte Zwischendecken eingezogen. Der Neubau eines Hauses auf den Brandtrümmern konnte nicht vor Frühjahr beginnen, das war sicher. Es gab nicht einmal Pläne dafür. Außerdem mußte erst die Baugenehmigung eingeholt werden. Wer das Tempo auf den Bauämtern kennt, weiß, daß dazu die orientalische Tugend der unendlichen Geduld gebraucht wird. Marius Herbert und Hündin Molly zogen in ein schönes großes Zimmer ein, in dem nun Marius' Staffelei stand – und auf ihr der Leinwandspannrahmen für das geplante und dann tatsächlich auch bald gemalte Bild: Die schöne Welt in einer Traube.
Es wurde ein wunderbares Gemälde, so wunderbar wie der Rausch, der Herbert beim Malen erfaßte. Mit gefalteten Händen saß Corinna dann manchmal hinter ihm und war glücklich. Nur, als Herbert sie einmal spontan umarmte und küssen wollte, stieß sie sich ab von ihm und lief wie gehetzt hinaus. Betroffen starrte ihr Marius nach … ihm war es gewesen, als seien ihre Augen im Moment der Umarmung explodiert …
Von überall her kamen immer mehr Heilungsuchende nach Hellenbrand. Clevere Busunternehmer im süddeutschen und norddeutschen Raum brachten ganze Omnibusladungen in die kleine westfälische Stadt, mieteten auf Wochen im voraus die Hotel- und Pensionszimmer in Hellenbrand und in den Orten der Umgebung – bis hin nach Havixbeck, Billerbeck, Horstmar und Nottuln. In der Kreisstadt Coesfeld richteten sie ein ›Pilgerbüro‹ ein, und in Münster eine Zentralstelle für Heilungsuchende. Mit deutscher Gründlichkeit war innerhalb von zehn Tagen eine neue Organisation aufgebaut: Fahrten zu den ›Heilenden Händen‹. Ein gutes Geschäft. Da Corinna für ihre Behandlung kein Geld nahm, schlug man das verschmähte Honorar auf den Fahrpreis drauf.
Bürgermeister Beiler war machtlos. Der Hellenbrander Polizeichef, Oberkommissar Blinker, mußte zwei Beamte für die Zufahrt und Abfahrt zum ›Wunderzelt‹ abstellen. In der Klasse von Stefan Doerinck fehlten – trotz schriftlichen Hinweises auf die rechtliche Unzulässigkeit des Boykotts – dreißig Prozent der Kinder. Schulrat Hollenbock in Münster wartete auf einen Entscheid der Regierung. Der von der Ärzteschaft zu Gegenmaßnahmen aufgeforderte Kreisarzt Dr. Fritz Krohmeyer ließ sich Zeit. Solch heikle Probleme muß man – zumal als Beamter – elegant wegschieben. Man muß zumindest erst einmal abwarten, was die ebenfalls alarmierte Staatsanwaltschaft dazu sagt. Ist das, was Corinna Doerinck da treibt, eine eklatante Verletzung des Heilpraktikergesetzes? Macht sie sich strafbar? Ist Massenwahn juristisch zu regeln? Sie nimmt kein Geld dafür, die Kranken kommen freiwillig und pochen auf ihre Rechte gegenüber
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