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Die strahlenden Hände

Die strahlenden Hände

Titel: Die strahlenden Hände Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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schloß die Augen und zog den Kopf tiefer zwischen die Schultern. Deutlich sah Doerinck, wie ein Zittern aus dem Innern heraus durch Corinnas Arme lief.
    »Ich sehe es«, sagte sie plötzlich. Doerinck zuckte zusammen und spürte wieder die Stiche am Herzen. Sein Mund war trocken, wie verdorrt. »Ich sehe es … im oberen Rektumdrittel …«
    »Das stimmt!« Ljudmilas Stimme klang wie von weitem, wie durch einen langen Gang gesprochen. »Ich habe es auf dem Röntgenbild gezeigt bekommen.«
    Corinna zog die Hände vom Leib der Mutter, legte sie aneinander und starrte auf ihre Fingerspitzen. »Ganz ruhig, Mama«, sagte sie leise. »Ganz entspannt liegen … Sag mir, was du spürst!«
    Sie beugte sich wieder vor, spreizte weit die flachen Hände und ließ sie langsam über Ljudmilas Unterbauch gleiten. Aber sie berührte jetzt nicht mehr den Körper, vielmehr schwebten ihre langen, schmalen Finger zehn Zentimeter über der Haut hin und her. Die Augen hatte sie wieder geschlossen, die Backenknochen spannten die Wangen, am Haaransatz erschienen ein paar Schweißtropfen.
    »Es wird warm«, sagte Ljudmila mit träger, müder, weiter Stimme. »So warm wird es … wunderbar warm … eine heiße, heiße Sonne …«
    Für Doerinck wurde das Luftholen schwer. Er hielt den Atem an, blickte auf Corinnas Hände und sah nichts als Finger, die langsam über dem Körper Ljudmilas schwebten. Mit einem tiefen Seufzen holte er wieder Luft und wunderte sich, daß er dabei nicht zerplatzte.
    Fünf Minuten sind eine lächerliche Zeitspanne – aber schon eine Runde von drei Minuten im Boxring kann unendlich sein. Oder die letzten Minuten vor dem Ertrinken, bis man Boden unter den Füßen spürt. Oder die wenigen Sekunden, in denen ein schleudernder Wagen an einem Baum vorbeirast. Fünf Minuten können Ewigkeiten sein, wenn es kein Entrinnen mehr gibt.
    Unvermittelt war es vorbei. Corinna lehnte sich nach hinten, ihre Hände fielen an ihren Körper zurück, der Kopf sank in den Nacken, ihr Mund öffnete sich weit – nur Sekunden waren es, in denen es schien, als zerfalle sie jetzt zu Staub. Dann straffte sie sich wieder und tastete nach den Zigaretten. Als sie nicht sofort die Streichhölzer fand, stürzte Doerinck zu ihr und hielt ihr sein Feuerzeug vor. Gierig sog sie die ersten Züge ein und blies den Rauch durch Mund und Nase wieder aus.
    Doerinck schluckte mehrmals, riß dann Ljudmilas Kleid von der Sessellehne, warf es über den nackten Körper und sank neben ihr auf die Couch. Ljudmila schlief, in die fremde Wärme eingebettet, und sah überirdisch schön aus mit ihrem sanften Lächeln.
    »Was war das?« stammelte Doerinck. »Du lieber Himmel, was war das …«
    »Mama wird gesund werden.« Corinna saugte an ihrer Zigarette. Über ihren Körper flimmerte noch ein merkliches Zittern. Ihre Augen glänzten fiebrig, aber in die Mundwinkel hatten sich plötzlich zwei tiefe Falten gegraben. Ein Gefühl der Leere hatte sie; wie ein ausgeflossenes Gefäß kam sie sich vor. »Jetzt weiß ich: Mama wird wieder gesund!«

2
    Die telefonische Absage der Operation durch Corinna Doerinck beschäftigte Dr. Willbreit in Münster mehr, als man es nach Lage der Dinge annehmen sollte.
    Natürlich war es innerhalb eines Betriebes wie der II. Chirurgischen Klinik völlig unmöglich, bei jedem Patienten dessen individuelle Sorgen und Probleme bis in die Einzelheiten zu berücksichtigen. Man wurde ihm vorgestellt, man untersuchte ihn, man operierte ihn, man visitierte ihn, er war ›die Galle‹, ›der Magen‹, ›der Pankreas‹. Ab und zu sah man auch die Verwandten, vor allem dann, wenn ein Ende nicht mehr zu vermeiden war. Dann sprach man einige tröstende Worte, ließ durchklingen, daß dies der Weg eines jeden Menschen sei, keiner sei unsterblich, nur der Zeitpunkt des Abschieds sei eben verschieden, auf jeden Fall immer zu früh … Oder man sagte bei positivem Verlauf: »Morgen können Sie zurück zu Muttern (oder Vatern). Nicht wahr, da freuen Sie sich!« – und hatte schon die neue Belegung des Bettes im Kopf: eine Seit-an-Seit-Anastomose, Frau, neunundvierzig Jahre alt, Privatpatientin. Da würde der Chef selbst operieren und liquidieren, auch wenn der Oberarzt die ganze Arbeit tat.
    Unmöglich, jeden Patienten mit seinen Schicksalen umfassend in sich aufzunehmen. Es gab ja Tage, an denen man acht, zehn, zwölf, ja vierzehn Stunden am Operationstisch stand; eine ungeheure geistige und vor allem körperliche Leistung, die man in keinem anderen

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