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Die strahlenden Hände

Die strahlenden Hände

Titel: Die strahlenden Hände Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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nicht da! Renate, Sie haben mich nicht gesehen!« und verschwand in seinem Arbeitszimmer. Hier war er sicher. Es kam selten vor, daß Lydia sein Arbeitszimmer betrat; es glich mehr einem Ordinationsraum, und seine Frau hatte einmal gesagt: »Hier riecht es mir zu sehr nach Arzt.« Trotzdem litt sie darunter, daß Willbreit nicht Chef der Klinik, sondern ›nur‹ Erster Oberarzt war. Sie sah nicht ein, daß das mit sechsunddreißig Jahren schon eine hervorragende Karriere war. »Wird man Chef, weil man alt ist oder weil man mehr kann als die anderen?« war ihre Frage. Und da hatte sie nun auch wieder recht. Es gab eine Menge Patienten, die von Willbreit und nicht vom Chef selbst operiert werden wollten. Professor Hellbrecht, dem Chef der Klinik, war das egal. Bei den Privatpatienten kassierte er sowieso und hatte mit Willbreit ein Freundschaftsabkommen getroffen: zwei Drittel ich, ein Drittel Sie. Gutachten 50 : 50. Es hatte keinen Sinn, empört zu sein. Der Boß hat eben grundsätzlich recht, auch wenn er, wie einst Sauerbruch, beim Operieren mit bloßen Händen, ohne Handschuhe, behauptet: Ein Chef ist immer steril!
    Willbreit nahm die mitgebrachte Akte Doerinck aus seiner Tasche, suchte die Telefonnummer der Doerincks und tippte sie dann nach einem kurzen Zögern in seinen Apparat.
    Niemand meldete sich. Die Doerincks waren zum Essen in den ›Westfalenkrug‹ gefahren; sie feierten die erste Behandlung Ljudmilas nach ihrem Ausruf: »Mir geht es schon viel besser!«
    Daß sich an diesem Abend der immer vorbildliche Lehrer Stefan Doerinck ein wenig betrank und am Arm seiner Tochter zum Auto schwankte, verzieh man ihm …
    *
    Jeden Abend wiederholte Corinna das schwebende Streicheln über Ljudmilas Leib.
    Nur fünf Minuten – länger war es ihr nicht möglich. Nach diesen ewig scheinenden fünf Minuten fühlte sie sich ausgepumpt, und schon vom drittenmal an hatte Doerinck es übernommen, für Corinna die befreiende Zigarette anzurauchen und sie seiner Tochter zwischen die bleich gewordenen Lippen zu schieben.
    »Es ist eine unsagbar schöne Wärme«, sagte Ljudmila jedesmal, wenn die Behandlung zu Ende war. »Es glüht direkt, aber es tut nicht weh.«
    Am vierten Tag war kein Blut mehr im Stuhl zu sehen. Auch der schmerzhafte Druck im Unterbauch war verschwunden, und Ljudmila machte ein Geständnis:
    »Das ist der erste Tag seit einem halben Jahr, an dem ich nichts spüre …«
    Stefan Doerinck war es, als habe man ihn gegen die Knie getreten.
    »Seit einem halben Jahr? Du hast seit einem halben Jahr ständig Schmerzen?«
    »Ja.«
    »Und warum hast du nichts gesagt?«
    »Aus Angst, Stefanka.« Sie zeigte ihr göttliches Lächeln, und man mußte ihr alles verzeihen. »Ich habe gedacht, ich könnte vor der Krankheit davonlaufen. Das ist dumm, ich weiß, aber wer ist nicht dumm, wenn er Angst hat?«
    Eine Besprechung mit dem Schulrat in Münster benutzte Doerinck dazu, sich in der Universitätsbuchhandlung über Parapsychologie, Bio-Energie, Bio-Plasma und Dermooptik zu informieren. Es stellte sich bald heraus, daß kaum jemand etwas davon verstand. Selbst der Chefeinkäufer redete gewandt um das Gebiet herum. Doerinck setzte sich dann in eine Ecke der Buchhandlung, wälzte dicke Kataloge und schrieb ein paar Buchtitel heraus, die er bestellte.
    Nicht einmal Corinna hatte seine Wißbegier befriedigen können. »Wie soll ich das erklären?« hatte sie gesagt, als er nach der zweiten ›Behandlung‹ ihre Hände nahm, sie nach allen Seiten drehte, die Fingerspitzen befühlte, sogar eine Lupe holte und damit Corinnas Fingerkuppen untersuchte. Doch war nichts Besonderes zu sehen, es handelte sich um ganz normale Hände und Finger, mit gepflegten Nägeln, die hellrot lackiert waren. Drei Fingerkuppen waren etwas rauh, wie aufgesprungen. »Das kommt vom Teppichknüpfen«, hatte Corinna erklärt. »Man glaubt gar nicht, wie hart die feinste Wolle manchmal sein kann.«
    Doch Doerinck ließ sich nicht ablenken: »Was ist mit deinen Händen, mit der geheimnisvollen Kraft?«
    »Ich weiß es nicht, Paps. Es kommt von innen. Ich sehe einen Menschen an und weiß auf einmal: Er ist krank! Er hat Gallensteine. Oder eine Nierenentzündung. Oder ein Magengeschwür. Und dann strecke ich meine Hände aus, fühle seine Krankheit in meinen Handflächen, an meinen Fingerspitzen, und ich spüre, wie eine Art elektrischer Strom von mir zu ihm hinüberfließt und in seinen Körper eindringt. Und dieser Strom vernichtet die Krankheit … Das

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