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Die strahlenden Hände

Die strahlenden Hände

Titel: Die strahlenden Hände Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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über; sie mußte ununterbrochen geraucht haben. Der süßliche Geruch des kalten Qualms – Corinna rauchte nur Orientzigaretten – war ihm zuwider.
    »Verzeihung«, sagte er heiser. »Ich hatte den Kopf verloren. Ich konnte nicht anders. Ich mußte an die Luft. Jetzt geht's mir besser.«
    »Soll ich dir etwas zu trinken holen?« fragte Ljudmila.
    »Nein. Danke. Ich hol mir selbst was.« Er ging zu dem großen Bücherschrank an der Längswand – einem dieser Lieblingsmonster deutschen Geschmacks mit eingebautem Fernsehteil, Hausbar und Phonofach, vier Metern Bücher und Museumsrepliken ägyptischer Kunst –, klappte den Deckel der Bar herunter und holte aus der verspiegelten Höhle eine Flasche Kognak. Zweimal schüttete er ein Glas voll – Form Napoleon – und kippte es mit einem Zug, den Kopf dabei in den Nacken werfend, hinunter.
    »Was nun?« fragte er, als er das Glas abstellte. »Es ist doch wohl erlaubt zu sagen, daß ich dafür keinerlei Verständnis mehr habe. Und ich erkläre auch ganz deutlich: Ich mache das nicht mit! Ich habe Vertrauen in unsere fortschrittliche Medizin, Vertrauen in die Kunst der Chirurgen. Für mich ist das Urteil eines Professors Willbreit kompetenter als dieses … dieses magnetische Kraftfeld oder Bio-Energie oder wie man den ganzen Blödsinn nennt. Ihr klammert euch da an eine wahnwitzige Hoffnung, aber das Röntgenbild zeigt die Wahrheit. – Milaschka, sag doch etwas! Sitz doch nicht so stumm herum! Du willst dich wirklich nicht operieren lassen?«
    »Wir wollen abwarten, Stefanka.« Ihre Stimme klang fast kindlich.
    »Aber die Krankheit wartet nicht!« schrie Doerinck. Er griff wieder zur Kognakflasche. Trinken ist keine Lösung, hatte er jedesmal zu Kollegen oder Freunden am Stammtisch gesagt, wenn sie irgendeinen kleinen oder großen Kummer ersäufen wollten oder mit ihren Problemen im Clinch lagen. Trinken ist eine armselige Flucht, und die Rückkehr in die Wirklichkeit ist um so schlimmer. Das hörte sich klug an, aber es hatte, wie viele Lehren, auch eine andere Seite. Mit ein paar Schlucken Kognak im Magen und einer alkoholischen Leichtigkeit im Hirn wurde die Last des Lebens erträglicher. »Egal, was ihr vorhabt: Ich mache mich nicht mitschuldig! Ich werde morgen früh Dr. Willbreit anrufen und ihm erklären, daß ich keinen Einfluß mehr auf den Gang der Dinge habe und daß meine Frau ja großjährig ist …«
    »Mit einundsechzig bestimmt«, sagte Ljudmila und lächelte. »Du sollst wirklich nichts damit zu tun haben, Stefanka. Geh in dein Arbeitszimmer, lies oder hör Radio.« Sie sah Corinna an und nickte ihr zu: »Wie lange wird es dauern, Töchterchen?«
    »Nur fünf Minuten, Mama.«
    »Na, siehst du, Stefan. Weniger Zeit als du brauchst, um eine deiner kleinen Zigaretten zu rauchen.«
    Doerinck umklammerte die Flasche und stellte mit Erschrecken fest, daß sie in seiner Hand zitterte, als schüttele er sie. Er ließ sie sofort los und steckte die Hände in die Hosentaschen. Die Nerven, dachte er. Wen wundert das? Welche Nerven halten so etwas aus? Auch ein Mann wie ich ist mit dreiundsechzig Jahren irgendwie verbraucht, angeschlagen zumindest, angekratzt von Tausenden von Widerhaken, die man im Leben passiert. Und einmal kommt der Augenblick, in dem man spürt: Jetzt geht es abwärts. Du bist über der Grenze. – War das jetzt, heute, in dieser Stunde?
    »Du … du willst hier …«, stotterte er.
    »Auf der Couch. Ja.« Corinna legte die Finger wieder wie ein Dach gegeneinander. »Ich brauche doch nur meine Hände …«
    »Und … und du glaubst daran, Milaschka?« Er starrte Ljudmila an, als sei sie eine außerweltliche Erscheinung, die plötzlich auf seiner Couch gelandet war. Sie nickte mit einem geradezu seligen Lächeln und sah in diesem Augenblick so jung, so schön, so gesund, ja so unsterblich aus, daß er hätte schreien können.
    »Ja«, sagte sie einfach.
    Und Corinna forderte ihren Vater auf: »Geh bitte hinaus, Paps!«
    Er schüttelte den Kopf, wild und unbeherrscht. »Nein! Ich bleibe! Jetzt bleibe ich. Ich war sechsunddreißig Jahre bei deiner Mutter, immer waren wir zusammen, und jetzt bin ich auch hier. Gerade jetzt!«
    Er drehte sich zur Schrankbar um, goß wieder ein Napoleonglas voll Kognak und spürte auf einmal Herzstiche. Nur das nicht, dachte er erschrocken. Verdammt, du dämliches Herz, halt aus! Habe ich dich nicht trainiert? Beim Wandern, beim Radfahren, am Nordseestrand? Und jetzt willst du mich verraten, du verdammtes Herz?
    Er

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