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Die strahlenden Hände

Die strahlenden Hände

Titel: Die strahlenden Hände Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Noch nie hatte sie einen Menschen so schreien gehört, so jenseits allen menschlichen Ausdrucks. Sie warf sich herum, stürzte zu Herbert und fiel neben ihm auf die Knie.
    Was ist mit Molly … wollte sie rufen, aber dann sah sie den Kopf des Hundes, und dann war Marius Herbert bei ihr, umklammerte sie, drückte seinen Kopf gegen ihre Brüste und begann zu heulen, schrecklicher als ein hungernder Wolf. Sein Körper zuckte wild, und sie konnte nichts anderes tun, als ihn fest an sich zu drücken und über seine Haare zu streichen – diese kurzen, blonden Haare, die er für sie hatte schneiden lassen. Und während er hemmungslos weinte, starrte sie auf Mollys erkaltenden Körper, auf die hochgestreckten Beine, das verzerrte Gesicht, die blaue Zunge, und sie begriff ebensowenig wie Marius, was hier vor ihren Augen geschehen war, von einer Sekunde zur anderen. Auch ihr kamen die Tränen. Sie preßte Herbert an sich und hörte, wie er gegen ihre Brust schluchzte und nicht mehr war als ein Kind, das verlassen auf dieser unendlichen Welt herumirrte.
    Sie blieben eine lange Zeit neben Molly auf der Erde sitzen, und als Marius endlich fragen konnte: »Wie ist das denn möglich? Was ist denn geschehen? Wieso ist Molly tot?«, wußte sie keine Antwort und streichelte nur immer wieder Herberts tränennasses Gesicht.
    »Nun habe ich nichts mehr«, sagte er, als etwas Ruhe über ihn kam. Er hatte Mollys kalten, erstarrten Körper auf die Seite gedreht und kniete daneben. »Nichts mehr …«
    »So etwas darfst du nicht sagen«, antwortete sie. »Du hast noch dein Leben vor dir.«
    »Was für ein Leben! Zum Kotzen, solch ein Leben!« Er legte beide Hände auf den Hundekörper und beugte sich etwas vor. »Mit Molly war es sinnvoll. Jeden Morgen, wenn sie mich ansah, hieß das: Tu etwas. Ich will essen. Marius, wir wollen doch weiterkommen. – Und was ist jetzt?«
    »Du bist noch da, deine Begabung, deine Kunst … und ich bin da …«
    »Du?« Er sah sie mit seinen traurigen Augen an und schüttelte den Kopf. »Du? Ein Himmelswesen, unerreichbar …«
    »Lege ich nicht den Arm um dich … so wie jetzt … spürst du mich nicht … hörst du nicht meine Stimme … kannst du nicht die Hand ausstrecken und mich berühren? Wieso bin ich unerreichbar?«
    »Ich habe mit Molly in Scheunen geschlafen, in Kellern von Neubauten oder Abrißhäusern …«
    »Das brauchst du bei mir nicht. Oder fehlt dir das?«
    »O Gott! Es ist ja alles Unsinn, was ich erzähle. Wie kann ich jemals zu dir sagen: Corinna, ich liebe dich! – Hinauswerfen würdest du mich, mit Recht. Diesen Vollidioten auslachen, daß man es hundert Meter weit hört …«
    »Lache ich jetzt?« fragte sie leise und legte ihre Hand auf seine Hände. »Hört man es hundert Meter weit? Geb ich dir jetzt einen Tritt und sage: Hau ab, du Vollidiot!? – Was tue ich wirklich? Ich höre dich an, und ich weine mit dir, wenn du weinst … um einen Hund weinst, der auch zu mir gehörte …«
    »Corinna, das soll jetzt doch bloß ein Trost sein.« Er erhob sich, rieb die Hände an seiner Jacke und blickte auf den erstarrten Hundekörper. Obgleich es eine warme Nacht war, begann er zu frieren und hob die Schultern. »Mir ist kalt. Laß uns Molly ins Zelt tragen. Morgen früh begrabe ich sie.« Er bückte sich, hob Molly mit beiden Händen hoch und drückte sie an seine Brust. »Wie kann man so plötzlich sterben? Ich begreife es nicht. Gibt es bei Hunden denn auch Herzinfarkte? Sie springt an dir hoch, fällt um und ist tot! Das kann man doch nicht begreifen …«
    Er trug den toten Hund ins Zelt zurück, bettete ihn auf die Decke, auf der Molly immer geschlafen hatte, deckte ihn sogar zu und schob ihm die Plastikschüssel ans Maul, aus der er immer so gern gefressen hatte. Der tödliche Pfeil war nicht zu sehen; das Fell verdeckte die Einschußstelle und die abgebrochene Pfeilspitze.
    »Was nun?« fragte er stockend.
    »Wir fahren, wie wir es vorhin wollten, zurück zu meinen Eltern.«
    »Ich kann jetzt nichts essen. Keinen Bissen kann ich essen!«
    »Wir werden Dr. Mayer anrufen.«
    »Wer ist Dr. Mayer?«
    »Unser Tierarzt. Er soll sich Molly morgen ansehen.«
    »Sie wird davon nicht lebendig.«
    »Aber wir wissen, woran sie gestorben ist.«
    »Ist das jetzt noch so wichtig?«
    »Für mich ja. Sieh dir Molly an …«
    »Warum?« Er wandte sich ab. »Ich heule wieder los.«
    »Zuerst haben sie das Haus angezündet, jetzt haben sie Molly getötet.«
    Wie von der Tarantel gestochen fuhr

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