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Die strahlenden Hände

Die strahlenden Hände

Titel: Die strahlenden Hände Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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mehr verlernt. Bevor sie nach Hellenbrand gefahren war, hatte sie in ihrem Garten ihr Können kontrolliert: Schon beim dritten Versuch holte ihr Giftpfeil einen Star von einem Baumast, und der vierte Schuß traf mühelos ein Wildkaninchen, das gerade in diesem Augenblick durch den Garten hoppelte.
    Marikje war sehr mit sich zufrieden und dachte: Sie ist größer als ein Star oder ein Kaninchen – es genügt, wenn ich sie irgendwo treffe, nur ihre Haut ritze. Das Gift wird sie töten. Es gibt kein Entrinnen.
    Geduldig wartete Marikje hinter dem dicken Baum auf das Erscheinen von Corinna. Als im Zelt die Lichter verloschen und die dicke Bohlentür aufschwang, setzte sie das Blasrohr an den Mund. Tief holte sie Luft und komprimierte sie in der Lunge, um sie in den nächsten Sekunden explosionsartig in das Blasrohr zu stoßen.
    Zuerst erschien Marius Herbert. Hinter ihm sprang Molly ins Freie, bellte freudig, wedelte mit dem unmöglichen Schwanz und tanzte auf den Hinterpfoten. Plötzlich aber fiel sie zusammen, stellte sich vor Herbert auf, ihre Rückenhaare sträubten sich; ein tiefes, gefährliches Knurren drang zwischen den Lefzen hervor. Die großen, runden Augen suchten die dunkle Umgebung ab, die feuchte Nase hob sich witternd in die Nachtluft.
    »Was ist denn, Molly?« sagte Herbert tadelnd. »Laß doch die Kätzchen in Ruhe. Immer auf die armen Katzen! Du bist doch selbst ein armer, häßlicher Hund.«
    Endlich kam Corinna aus dem Zelt. Sie schloß die Tür ab, trat einen Schritt neben Marius Herbert und wischte sich mit der Hand die Haare aus dem Gesicht. Der Mondschein fiel voll auf sie – welch ein Ziel!
    Marikje zielte mit dem Blasrohr auf Corinnas Gesicht und stieß dann die gesammelte Luft aus. Lautlos schoß der Giftpfeil aus dem Bambusrohr.
    Im selben Augenblick sprang Molly an Corinna hoch. Ob es Instinkt war oder nur eine freudige Begrüßung, eine Aufforderung zum Spiel – wer will das beurteilen? Unsichtbar in der Dunkelheit, lautlos drang der Pfeil in Mollys Nacken, bohrte sich durch das Fell in das Fleisch und blieb dort stecken.
    Molly jaulte kurz auf, ließ sich fallen und wälzte sich auf der Erde. Dabei brach der Pfeil am Fell ab, aber die vergiftete Spitze drang nur noch tiefer in die Blutbahn.
    »Benimm dich, Hund!« sagte Herbert laut. »Was soll das? Dich untersuche ich nachher. Du hast Flöhe, mein Mädchen!«
    Molly wälzte sich noch immer auf dem Boden, aber ihre Bewegungen wurden langsamer. Hinter dem Baum glitt Marikje weg in die Dunkelheit, rannte in einem Bogen zu ihrem Wagen und verhielt dort hinter den schützenden Büschen. Mißlungen! Die größte Chance vertan. Ein Mistköter spielte Schicksal.
    Sie drückte das Gesicht gegen die Autoscheibe und preßte die Fäuste in die Zähne, als sie spürte, daß sie vor Wut und Enttäuschung beinahe zu schreien anfing. Am ganzen Körper zitternd saß sie dann im Wagen, zündete schluchzend den Motor, fuhr ohne Licht bis zur Chaussee und knipste dann die Scheinwerfer an. Erst als sie Billerbeck durchquerte und bei Damp die Bundesstraße nach Coesfeld erreichte, ebbte ihr Schluchzen ab, beruhigten sich ihre flimmernden Nerven. Der Haß aber blieb, war eher noch stärker als zuvor – doch gab es noch eine Aussicht, ihn zu befriedigen?
    Vor dem Zelt lag Molly jetzt still auf dem Rücken, die vier Beine hoch von sich gestreckt; so steif, daß Marius Herbert, der mit Corinna schon einige Schritte weggegangen war, sich umdrehte und zurückkam.
    »Molly, laß den Quatsch!« rief er. »Nein, ich spiele jetzt nicht mit dir. Bist ja verrückt, in der Nacht, auf der Erde. Los, steh auf, du genußsüchtiges Mädchen! Molly, dreh dich auf deine Beine! Nein, ich kraule dich auch nicht! Jetzt nicht!«
    Doch Molly blieb liegen, den Kopf seitlich auf dem Boden. Die Zunge hing lang zwischen den gebleckten Zähnen heraus, die großen Kulleraugen starrten gläsern in den Mondschein. Es war, als sei sie mitten in der Bewegung versteinert.
    »Molly …«, sagte Herbert mit schwankender Stimme. Und dann, mit einem Atemzug, plötzlich die Wahrheit erkennend, schrie er: »Molly! Molly!« Er fiel neben dem Hund auf die Knie, legte sich lang auf die Erde, starrte in das verzerrte Hundegesicht, kroch an ihn heran und legte die Hand vorsichtig auf den nach oben gedrehten Leib. Er war noch warm, natürlich, aber ohne Leben, ohne Atem, ohne das Vibrieren der Muskeln.
    »Molly …!« Es war ein langgezogener Aufschrei. Corinna durchfuhr er wie ein glühender Strahl.

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