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Die strahlenden Hände

Die strahlenden Hände

Titel: Die strahlenden Hände Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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auffing. »Ja, so sieht er aus, befreit von der gnädigen Hose und dem Pullover. Nichts dran, was einer Frau gefallen könnte. Da muß man schon blind sein oder im Puff 'ne Menge dafür bezahlt bekommen, um das in'n Arm zu nehmen. Im Obdachlosenasyl von Köln hab' ich mal mit einer geschlafen, die war genauso dürr wie ich. Das war eine Knochenkracherei! Klang wie'n Xylophon: Ding-dang-dong-dangdang … Im Schlafsaal hab'n sie hinterher geklatscht, so musikalisch war das.«
    »Warum erzählst du mir so etwas, Marius?« fragte sie leise. »Das stimmt doch alles nicht. Das ist doch gelogen.«
    »Und wie das stimmt!« Er riß das Unterhemd auch noch über den Kopf und stand nun nackt bis auf den kleinen Slip vor ihr. »Wie sehe ich aus? Ein tapeziertes Skelett, was?«
    »In einem Jahr wird alles anders sein! Dann bist du gesund und ein berühmter Maler.«
    Er antwortete nicht darauf und ging in den Nebenraum. Dort hörte Corinna ihn rumoren, und dann schob er das Bett durch die Tür herein, es knirschte und rumpelte über die Dielenbretter. Er stemmte sich gegen die Rückwand und drückte es vor sich her. Wortlos half ihm Corinna. Sie faßte das Bett am Fußende, zog es mitten in den Raum und sah dabei Marius unverwandt an. Verbissen schob er das Bett nahe an die Zeltwand, neben das Lager Mollys, und als es nach seiner Ansicht richtig stand, setzte er sich auf die Kante und ließ die dürren Beine pendeln.
    »Gute Nacht«, sagte er wieder.
    »So willst du schlafen?«
    »Erstens ist es warm, und zweitens kann ich mir den Luxus eines Schlafanzuges nicht leisten.«
    »Warum hast du das nie gesagt?«
    »Wozu? Ich bin nicht als Bettler zu dir gekommen. Ich hatte nur die verrückte Idee, dir irgendwie nützlich zu sein. Ich wollte bei dir Geld verdienen, stell dir das vor! Statt dessen brennt dein Schuppen ab, und mein Hund wird ermordet. So hatte ich mir meine Hilfe eigentlich nicht vorgestellt.«
    Sie setzte sich neben ihn auf die Bettkante, ließ ihre Beine ebenfalls baumeln und starrte vor sich hin. Zum erstenmal seit Jahren, seit vielen Jahren, seit versunkenen Zeitaltern, so kam es ihr vor, erregte sie wieder ein nackter Männerkörper. Das war ein so seltenes, so fremdes Gefühl, daß sie innerlich in Abwehr versteinerte, aber dennoch ein Brennen in ihrem Blut spürte. Ihre Nasenflügel bebten und zitterten … sie nahm den Geruch des Schweißs auf, den der Körper neben ihr verströmte, den herben Geruch von Männlichkeit, diesen merkwürdigen Duft nach Raubtier und sommerlichem Heu … mit ihren höchst sensibel reagierenden Nerven sog sie besonders intensiv diese Hautausdünstung ein, und wie bei den Tieren der wechselseitige Geruch zur unwiderstehlichen Lockung wird, so empfand auch Corinna die körpernahe, nackte Gegenwart von Marius als zwingende magnetische Kraft.
    Mit aller Energie wehrte sie sich dagegen. Und sie erstarrte noch mehr, als Marius den Arm um sie legte, um ihre Hüfte, und seine Hand auf ihrem Schenkel verharrte.
    »Ich weiß nicht, was mit mir los ist«, sagte er mit rauher Stimme. »Aber es ist besser, wenn du jetzt gehst. Sofort gehst! Fluchtartig gehst!«
    »Du wirst neben Molly die ganze Nacht weinen …«
    »Vielleicht …«
    »Ich werde bei dir bleiben.« Ihre Stimme hatte einen anderen Klang bekommen. Nicht weicher, hingebungsvoller, aber dunkler, samtiger. »Du legst dich hin, und ich erzähle dir aus unserem Leben, aus dem Leben der Doerincks. Das ist eine lange, wilde Geschichte, die in Rußland beginnt, in Poti am Schwarzen Meer, mit einem jungen deutschen Leutnant und einem wunderschönen jungen Mädchen, das Ljudmila heißt, und die sich liebten, als gäbe es auf der Welt nur sie und keinen Krieg und keine Völker, die sich ausrotteten, und keinen sinnlosen Haß wegen wahnsinniger Ideologien. Komm, leg dich hin …«
    Marius Herbert blickte sie zweifelnd an, kroch dann gehorsam unter die bezogene Decke und streckte sich aus. Die Arme verschränkte er hinter dem Nacken, sah gegen die gespannte Leinwand des Zeltdaches und beobachtete die wellenförmigen Bewegungen, die ein warmer Nachtwind darauf erzeugte. Er zuckte leicht zusammen, als Corinna die große hängende Deckenlampe ausknipste und nur der schwache Schein einer entfernt stehenden Tischlampe den großen, kahlen Raum erhellte.
    Welch ein grandioses, verrücktes Leben, dachte er. Ich liege in einem großen Zelt, abgeteilt durch verschiebbare Holzwände; in einem leeren Raum, in dem nur ein Bett steht und ein toter Hund liegt;

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