Die strahlenden Hände
ihn an den Apparat.«
»Er will dich unbedingt sprechen«, gab Dr. Hambach weiter.
»Nein!« schrie Roemer.
»Fragen Sie ihn«, sagte Willbreit, »ob er ein Feigling sei?«
»Bist du ein Feigling, Erasmus?«
Es gibt keinen Mann, der darauf nicht sofort reagiert. Roemer stemmte sich hoch, riß Hambach das Telefon aus der Hand und röhrte: »Nun hör mal zu, du Körperaufschneider …«
»Nein! Du hörst mir zu!« schrie Willbreit zurück. »Elise will sich scheiden lassen …«
»Es jubiliert die Vogelschar, wie's nur bei Vögeln möglich war!«
»Das wird ein Bombenskandal, Erasmus.«
»Was kann mich das noch berühren? Paß nur auf, alter Junge, daß Elise deine Lydia nicht ansteckt.«
»Es geht um dich, Erasmus! Wie fühlst du dich gesundheitlich?«
»Blendend. Das Ergebnis der letzten Röntgenkontrolluntersuchung in Billerbeck bei Dr. Meersmann ist hervorragend. ›Da kann man tatsächlich nur von einem Wunder sprechen‹, hat Meersmann gestaunt. ›Ich gestehe: Das habe ich noch nicht gesehen und auch vorher nicht geglaubt!‹ – So steht's mit mir. Und auch sonst wird bald wieder manches stehen!«
Willbreit schwieg einen Moment. Roemers Nachricht war ein Faustschlag. Wenn die phantasievolle Geschichte, daß seine unheimliche Krankheit zurückgegangen sei durch bloßes Streicheln mit den Händen, wirklich die Runde machen sollte, dann würde dies der Schulmedizin großen Schaden zufügen und erregte Diskussionen entfachen. Das war genau das, was man zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht gebrauchen konnte. In den letzten Tagen war die Öffentlichkeit aufgescheucht worden durch Berichte über Kunstfehler eines bekannten Ordinarius für Orthopädie, dem irreparable Fehloperationen unterlaufen waren. Neun Männer und Frauen, durch seine Operationen zu lebenslangen Krüppeln geworden, hatten Anzeige erstattet. Was Willbreit aber am meisten erregte, waren die Gutachten, die zwei Opfer des Orthopäden vorlegten. Gutachten eines namhaften Professoren-Kollegen, der sich nicht scheute zu behaupten: »Ein Taxifahrer muß sich alle zwei Jahre auf seinen Gesundheits- und Geisteszustand untersuchen lassen, weil ihm Menschen anvertraut werden. Nur ein Chirurg – und ein Arzt überhaupt – kann unbeaufsichtigt und unbeschränkt praktizieren, bis er vielleicht mit Achtzig oder Neunzig umfällt. Niemand kontrolliert seinen Geisteszustand, obwohl Hunderte von arglosen, gutgläubigen Menschen durch seine Hände gehen.«
Und nun das! Die Heilung einer kritischen Krankheit durch strahlende Hände. Zum zweitenmal das Unbegreifliche nach Ljudmilas verschwundenem, das heißt ausgetrocknetem Darmkrebs. An seinen Schläfen spürte Willbreit plötzlich das pulsierende Blut.
»Können wir uns irgendwo treffen, Erasmus?« fragte er.
»Nein.«
»Bei Krautkrämer …«
»Noch nicht. Dort hebe ich, wenn es soweit ist, mein zweites Leben aus der Taufe, daß die Dachziegel wegplatzen! Ich lade dich dazu ein, Thomas, sobald Corinna zu mir gesagt hat: Jetzt bist du gesund.«
»Komm wenigstens für einen Tag nach Hause«, sagte Willbreit fast bittend.
»Wo ist mein Zuhause?« Roemer schlug mit der Faust gegen die Wand. Willbreit hörte es deutlich. »Wo?«
»Erasmus! Du hast eine so schöne Villa, den Park, den Fischteich, deine Antiquitäten, die Sammlung Meißener Porzellan …«
»Vom Geld meines Schwiegervaters! Als ob ich nicht wüßte, daß man meinen Titel und meine gesellschaftliche Stellung gekauft hat. Jetzt, wo Elise mit einem ungarischen Grafen auf der Matratze gelegen hat, sieht das auf einmal anders aus. Da kann man sich scheiden lassen. Frau Gräfin ist mehr als Frau Landgerichtsdirektor. So ist das, mein lieber Thomas! Aber ich mache es ihr leicht: Ich bleibe hier im Grünen, und wenn ich gesund bin, werde ich durch die Gegend wandern … die Steinfurter Aa entlang, durch die Risauer Berge und runter über Nottuln nach Coesfeld durch die Roruper Mark … Mein Gott, die Welt ist so schön und weit! Es gibt Pellkartoffeln mit Quark, Bauernstuten mit Butter und Knochenschinken, Pfefferpotthast und Knabbein, Möpkesbrot und Graupensuppe, Grünkohl mit Speck und Luftgeräuchertem, Bohnen durcheinander und Wellfleisch. Und zu allem gehört ein Klarer, ein Münsterländer Doppelkorn. – Ihr wißt ja alle nicht, wie schön das Leben ist! Was ihr verpaßt in eurem Salonmief! Welch ein Glück es ist, auf einer Hügelkuppe zu stehen und über das Land zu blicken, über die verstreuten Höfe, die Felder, die Waldgruppen, die
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